Will ein Unternehmen die Bedingungen für seine Anleihen ändern, müssen die Anleger dem zustimmen. Für die in Krisenlagen oft unvermeidliche Änderung von Laufzeit, Zinssatz oder Nominalbetrag einer Unternehmensanleihe muss eine qualifizierte Mehrheit der Gläubiger dafür stimmen. Mit einer optimierten Planung und Strukturierung des Abstimmungsprozesses können Unternehmen nicht nur erhebliche Kosten und Ressourcen einsparen, sondern auch den erfolgreichen Ausgang der Beschlussfassung maßgeblich beeinflussen.
Ein Gastbeitrag von Kristian Heiser und Markus Korinth
Der ESPG AG, einem auf Wissenschaftsparks ausgerichteten Immobilienbestandshalter, ist es erst jüngst zwei Mal gelungen, im ersten Anlauf das erforderliche 50-Prozent-Quorum und die notwendige 3/4-Mehrheit für eine Änderung der Anleihebedingungen ihrer Unternehmensanleihe durch eine Gläubigerbeschlussfassung zu erreichen – kein Einzelfall, aber alles andere als selbstverständlich[1].
Das 50-Prozent-Quorum für die erste Abstimmungsrunde ist regelmäßig eine hohe Hürde, da es voraussetzt, dass mindestens 50 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen an der Beschlussfassung teilnehmen. In der Praxis wird daher oftmals schon von vornherein mit einer zweiten Abstimmungsrunde mit reduzierten Anforderungen an das Quorum geplant. Eine solche zweite Abstimmungsrunde, die zwingend als physische Versammlung stattzufinden hat, bedeutet aber nicht nur mehr Kosten-, Organisations- und Zeitaufwand, sondern stößt gerade bei Gläubigern aus dem Ausland auf Unverständnis und Frustration.
Emittenten von Anleihen sind also gut beraten, bereits in der Planung den Fokus darauf zu legen, das erforderliche Quorum und die erforderlichen Mehrheiten möglichst schon in der ersten Abstimmungsrunde zu erreichen, und zwar ganz gleich, ob im Rahmen einer physischen Versammlung oder als Abstimmung ohne Versammlung.
Neben einem schlüssigen Unternehmenskonzept und der Überzeugungskraft der Unternehmensleitung hängt das Erreichen dieses Ziels maßgeblich auch von der bestmöglichen Justierung einer Vielzahl tatsächlicher und rechtlicher Stellschrauben ab, unter denen ein solches Verfahren abläuft.
Identifizierung des Gläubigerkreises und Ermittlung konsensfähiger Beschlussgegenstände
Entscheidend ist zunächst, einen Vorschlag für die Anpassung der Anleihebedingungen zu finden, der vor dem Hintergrund des konkreten Gläubigerkreises konsensfähig ist. Der Änderungsvorschlag sollte daher vor Beschlussfassung mit den maßgeblichen Gläubigern inhaltlich abgestimmt werden[2]. Eine solche Abstimmung kann grundsätzlich vor oder nach Bekanntmachung des Beschlussvorschlags erfolgen.
Dabei ist zu beachten, dass ein Bekanntwerden der Restrukturierungsabsicht vor Einberufung der Gläubigerversammlung bzw. Aufforderung zur Stimmabgabe unliebsame Akteure in den Gläubigerkreis locken kann. Deren individuelle Interessenverfolgung kann den Restrukturierungserfolg gefährden, zumal ihre Befugnis zur Beschlussanfechtung anderenfalls ausgeschlossen wäre (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 SchVG).
Für die optimale Planung und Strukturierung dieses Prozesses sollten zudem folgende Optionen erwogen werden:
- vertrauliche Kontaktaufnahme zu bekannten Großgläubigern (aus Emission der Anleihe oder öffentlich zugänglichen Quellen);
- Beauftragung einer Bank/eines Intermediärs mit der Identifizierung unbekannter Gläubiger;
- Durchführung eines Investoren-Calls mit Registrierungserfordernis unter Angabe von Kontaktdaten;
- Bitte um (freiwillige) Anmeldung unter Angabe von Kontaktdaten;
- Wahl einer hinreichend langen Einberufungsfrist.
Restrukturierung von Anleihen: Unkompliziertes und einfaches Abstimmungsverfahren
Zudem sollte das Abstimmungsverfahren – insbesondere bei Abstimmungen ohne Versammlung – für die Gläubiger der Anleihen möglichst unkompliziert, einfach und klar verständlich gestaltet und erläutert werden. Hierbei gilt es, neben den Pflichtvorgaben die gestalterischen Spielräume bestmöglich zu nutzen:
- Einräumung von Erleichterungen bezüglich strenger Anmelde-, Legitimations- oder ähnlicher Anforderungen der Anleihebedingungen;
- Nutzung (auch) digitaler Formulare für Stimmabgabe, Sperrvermerke und Vollmachten;
- Benennung eines Stimmrechtsvertreters für verhinderte Gläubiger (z.B. Notar oder Gemeinsamer Vertreter);
- Wahrung der Option, einen Beschlussvorschlag der Emittentin zugunsten eines konsensfähigen Gegenantrags aus dem Gläubigerkreis fallenzulassen;
- Bezugnahme auf Beschlussgegenstände im Stimmabgabeformular für Abstimmung ohne Versammlung sollte die Verwendung desselben Formulars auch bei geändertem Beschlussgegenstand (siehe zuvor) ermöglichen (Austausch von Stimmabgabeformularen provoziert Fehler bei der Stimmabgabe);
- Anforderungen an Teilnahme und Stimmabgabe (Formerfordernisse, Nachweise für Vertretungsbefugnisse, Fristen etc.) sind transparent und einfach verständlich zu erläutern (ggf. Besonderheiten ausländischen Rechts berücksichtigen);
- rechtzeitige Abstimmung mit dem Versammlungsleiter über die (gläubigerfreundliche) Auslegung konkreter Anforderungen an Teilnahme und Stimmabgabe;
- Nutzung etwaiger Möglichkeiten zur Stimmabgabe über Clearing-System (insb. Clearstream Luxembourg oder Euroclear) bei Abstimmung ohne Versammlung;
- Wahl eines hinreichend langen Abstimmungszeitraums bei Abstimmungen ohne Versammlung (gesetzliches Minimum sind 72 Stunden) und Vermeidung von Wochenenden und Feiertagen (ggf. auch im Ausland) innerhalb dieses Zeitraums.
Da Änderungen der Bedingungen von Anleihen in Krisenlagen die Rechtsposition der Gläubiger in der Regel verschlechtern, ist trotz bestmöglicher Planung und Strukturierung der Abstimmung nicht garantiert, dass ein konsensfähiges Lösungskonzept zustande kommt und die erforderliche Mehrheit erlangt. Es müssen daher frühzeitig alternative Handlungsoptionen für den Fall des Scheiterns der Anleiherestrukturierung in den Blick genommen werden, wie z. B. auch ein sich daran etwaig anschließendes StaRUG-Verfahren, also ein Verfahren nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen.
Dieser Beitrag ist der erste Teil einer Artikel-Reihe für den Kapitalmarktblog über die Restrukturierung von Anleihen. Hier stellen die beiden Anwälte Kristian Heiser und Markus Korinth die Herausforderungen für Unternehmen bzw. Emittenten dar und erläutern Lösungswege.
[1] www.rkh-law.de/download/rkh-pm-espg-abstimmung-ohne-versammlung-de-240223.pdf
[2] So z.B. die sog. Ad-hoc-Gruppe, die von der DEMIRE Deutsche Mittelstand Real Estate AG mit weit über 50 % der Anleihegläubiger zur Verhandlung einer Vereinbarung zur Verlängerung und Restrukturierung ihrer Unternehmensanleihe gebildet wurde (vgl. Ad-hoc Mitteilung vom 26.03.2024).
Dr. Kristian J. Heiser ist Rechtsanwalt und Partner in der Sozietät Raschke von Knobelsdorff Heiser in Hamburg. Er ist unter anderem auf Gesellschaftsrecht, Mergers & Acquisitions sowie Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert.
Seit 2012 ist Kristian Heiser laut Handelsblatt/Best Lawyers einer der führenden deutschen Anwälte im Gesellschaftsrecht, M&A, Kapitalmarktrecht und Immobilienwirtschaftsrecht.
Markus Korinth ist Rechtsanwalt und Counsel der Sozietät Raschke von Knobelsdorff Heiser. Er ist auf Gesellschaftsrecht, Prospektrecht sowie Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert.
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