Volle Terminkalender, kaum Zeit, um den Akku wieder aufzuladen und das Leben zu genießen: Das ist für viele Menschen fast Normalität. Oft erkennen Betroffene aber auch Arbeitgeber viel zu spät, dass dieser chronische Stress, Erfolgsdruck sowie Überlastung im Beruf und im Privatleben krankmachen. Schlaflose Nächte, Konzentrationsschwächen, Gereiztheit und Lustlosigkeit werden ignoriert, bis es einfach nicht mehr geht und oft zu monatelangen Komplettausfällen kommt. Gemäß Techniker Krankenkasse (TK) fehlten Arbeitnehmer noch nie so häufig wegen psychischer Erkrankungen. Und während Beschäftigte mit Erkältungen durchschnittlich 7 Tage zum Auskurieren benötigen, fallen sie bei psychischen Erkrankungen circa 37 Tage aus.
Der Weg ins Burnout und die oft damit einhergehenden Depressionen ist ein schleichender Prozess, dessen vielschichtige Ursachen sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld zu finden sind. Nur wer die Signale früh erkennt, kann gegensteuern und das Schlimmste verhindern. Einer, der aus eigener Erfahrung weiß, wie das gelingen kann, ist Skisprunglegende Sven Hannawald (45). Lange war der mehrfache Weltmeister und Olympiasieger „vom eigenen Ehrgeiz und dem permanenten Leistungsdruck getrieben“ – und ignorierte die Signale seines Körpers, bis es 2004 „einfach nicht mehr ging“. Nach einigen Klinikaufenthalten ist er inzwischen wieder gesund, arbeitet als TV-Kommentator bei Eurosport und betreibt gemeinsam mit Sven Ehricht eine Unternehmensberatung. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen dabei auf Burnout-Prävention und Stressmanagement, das in Corona-Zeiten wichtiger denn je ist. Wir sprachen mit dem gebürtigen Sachsen.
Herr Hannawald, wie kam es zu Ihrem Burnout?
Sven Hannawald: Schon von Kindheit an hatte ich unbewusst in mir: Nur die Harten kommen in den Garten, für Erfolg muss man was tun, darf nicht aufgeben, im Sport wie im Leben. Nach dem Wechsel von der Jugend in den Männerbereich musste ich zum Beispiel plötzlich gegen Weltmeister und Olympiasieger springen. Um zu bestehen, hieß es für mich durchboxen, mal auf die Zähne beißen, auch wenn’s weh tat. Die Erfolge bestätigten mich und mein Ehrgeiz trieb mich immer weiter. Auszeiten und Pausen waren da reine Zeitverschwendung, verlorene Zeit. Ich liebte das Skispringen, wollte immer Gas geben und den perfekten Sprung. Aber dann fühlte ich mich zunehmend müde und kaputt, spürte gleichzeitig aber eine nervende, innere Unruhe. Damals konnte oder wollte ich das nicht richtig deuten. Bis gar nichts mehr ging, egal was ich auch machte, ich kam nicht mehr vorwärts.
Und dann?
Hannawald: Ich sprach mit unserem Mannschaftsarzt, konsultierte auch andere Ärzte, aber alle Untersuchungen zeigten, dass ich körperlich gesund war. Erst anderthalb Jahre später war ich bei einem Facharzt für Psychosomatik und bereits vier Wochen später in einer Fachklinik im Allgäu. In vielen Therapiestunden lernte ich mich selbst wiederkennen, arbeitete Vieles auf. So nach und nach begriff ich, dass meine Erwartungshaltung an mich selbst oft zu hoch war, mein Ehrgeiz mich krankgemacht hatte. Ich verstand, dass mein Körper Pausen braucht und ich für Ausgleichsmöglichkeiten zum täglichen Stress sorgen muss. Es hat fünf bis sechs Jahre gebraucht, bis ich langsam wieder der Alte war und problemlos am normalen Leben teilnehmen konnte.
Was haben Sie aus Ihrer Krankheit in Ihr heutiges Leben mitgenommen?
Hannawald: Ich bin immer noch sehr ehrgeizig und wenn ich etwas mache, dann prügele ich mich da voll rein, denn es soll perfekt sein. Im Gegensatz zu früher weiß ich aber, dass danach oder auch dazwischen Pausen kommen, die ich einfach einplane und einhalte. Die Festplatte eines Menschen kann man nicht austauschen. Ich lebe ruhiger und bewusster, trenne Job und Privatleben strikt. Viel Entspannung finde ich bei meiner Familie, mit Melissa (30) sowie unseren Kindern Glen (2) und Liv (1). Natürlich ist mir auch klar, dass ich es als selbständiger Unternehmer einfacher habe als Angestellte oder Führungskräfte in Unternehmen.
Was können die trotzdem von Ihnen lernen?
Hannawald: Zunächst muss jedem, sowohl den Arbeitnehmern als auch den Arbeitgebern bewusstwerden, dass kein Mensch über eine längere Zeit rund um die Uhr Höchstleistungen erbringen kann. Wer das erwartet oder sogar einfordert, hat vielleicht kurzfristig Erfolg, läuft aber Gefahr, langfristig das Nachsehen zu haben. Die eigenen Leistungen beziehungsweise die des zunächst „nur“ überforderten Mitarbeiters lassen nach, Stimmungsschwankungen torpedieren das Betriebsklima. Je länger Symptome wie Müdigkeit, Gereiztheit, Interesse- und Antriebslosigkeit etc. ignoriert werden, umso länger dauert später der Weg zurück in die Normalität. Also rechtzeitig handeln.
Wie könnte das konkret aussehen?
Hannawald: Arbeitgeber müssen ihren Mitarbeitern Pausen einräumen, und damit meine ich nicht Frühstücks- oder Mittagpausen. Es muss jedem ermöglicht werden, in einer gesunden Work-Life-Balance zu leben. Also beispielsweise keine Emails versenden, die rund um die Uhr beantwortet werden können oder gar müssen. Selbst wenn der Absender nachts keine Antwort mehr erwartet, könnte sich der Empfänger dazu genötigt fühlen oder überlegt vielleicht die halbe Nacht, wie er das Problem lösen könnte. Wenn die Leute nach Hause gehen oder im Urlaub sind, darf nichts mehr vom Job kommen. Wie bei einer Waage müssen für das Gleichgewicht beide Seiten befüllt werden, Job und Erfolge ebenso wie Ruhe, Relaxen und Lebensfreude. Das gleiche gilt übrigens für Chefs und Führungskräfte. Wenn das in der Firma noch nicht geregelt ist, muss dafür ein klarer Plan her, vielleicht muss sogar der Gesetzgeber etwas Entsprechendes auf den Weg bringen.
Wie können Sie Unternehmen, Chefs und Mitarbeiter unterstützen?
Hannawald: Wenn ich in Talkrunden und Workshops über meine eigenen Erfahrungen spreche und meine Geschichte erzähle, erlebe ich oft, dass es bei einigen „klick“ macht. Viele wollen sich nicht eingestehen, dass sie psychische Probleme haben, verbinden das auch in der heutigen Zeit noch zu oft mit Scham und Schwäche. Plötzlich wissen die aber dann, was die Dauermüdigkeit oder die immer wiederkehrenden Stimmungstiefs bedeuten und können sich dann endlich fachkundige Hilfe holen.
Sie geben auch Seminare zum betrieblichen Gesundheitsmanagement
Hannawald: Mit unseren langjährigen Gesundheitspartnern, darunter auch Fachkliniken, haben wir ein Intensivseminar zur Stressbewältigung und Burnout-Prävention konzipiert. Optimal führen wir den aktiven Teil der Seminare an und auf Skisprungschanzen durch, die dann als Symbol für den beruflichen Aufstieg, quasi als Karriereleiter stehen. Beim Aufstieg lernen die Teilnehmer, wie wichtig die Pausen auf dem steilen und langen Weg nach oben sind, um bis zum Ziel Top-Leistungen zu erbringen. Aber auch, wie man Belastungsgrenzen bei sich und anderen frühzeitig erkennen kann. Bei diesen Team-Events wird auch deutlich, dass man mit verschiedenen Strategien erfolgreich sein kann, es nicht nur die scheinbar Stärksten schaffen können. Oft öffnen sich die Menschen dabei dann auch mehr, erzählen von persönlichen Problemen oder fragen nach konkreten Hilfsangeboten. In diesem Fall können wir auch konkrete Empfehlungen geben, denn wir arbeiten eng mit renommierten Fachärzten, Psychologen und Spezialkliniken zusammen.
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