Die europäische Wirtschaft soll nachhaltiger werden. Die EU und die Bundesregierung überziehen die Unternehmen mit ESG-Auflagen und -Berichtspflichten, damit die verbrauchte Energie grüner, die Umwelt sauberer und die Unternehmensführung sozialer wird. Das ist sicher geboten. Doch in der Umsetzung sehen sich Mittelständler mit einem Bürokratiemonster konfrontiert, obwohl sich die Bundesregierung gerade wieder einmal den Abbau der Bürokratie auf die Fahnen schreibt. Was auf KMU zukommt.
Eigentlich hat niemand etwas gegen mehr Umweltschutz, geringeren Energie- und Ressourcenverbrauch, Gleichberechtigung und Schutz vor Diskriminierung, weniger Armut und faire Bezahlung. Environment, Social und Governance (ESG), also Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung, liegen vielen Firmenchefinnen und -chefs am Herzen. Das gilt insbesondere für den Mittelstand und die vielen familiengeführten Unternehmen in Deutschland. Viele von ihnen engagieren sich leidenschaftlich für das Thema Nachhaltigkeit und die ESG-Ziele, selbst wenn das kurzfristig mit Kosten und Aufwand einhergeht. Doch was nun auf die Unternehmen durch die ESG-Richtlinie, die EU-Taxonomie und die damit verbundenen Berichtspflichten laut CSRD-Richtlinie zukommt, spottet jeder Beschreibung und dürfte vielen die Freude an ihrem Nachhaltigkeitsengagement rauben.
Nachhaltigkeitsberichte werden Pflicht
Worum geht es? Damit es unserem Planeten und seinen Bewohnern in Zukunft besser geht, haben sich die Vereinten Nationen 2015 auf 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, kurz SDG) geeinigt und diese in ihre Agenda 2030 aufgenommen. Die Ziele sind breit gefächert und reichen von „keine Armut“ und „kein Hunger“ über die Bekämpfung des Klimawandels und bezahlbare erneuerbare Energie bis hin zu verantwortungsbewusstem Konsum und Gleichberechtigung. 2019 hat die EU für die Umsetzung dieser Ziele den Green Deal als umfassende ESG-Richtlinie ins Leben gerufen, 2020 wurde mit der EU-Taxonomie ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten geschaffen. Zum Jahresbeginn 2023 ist nun die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Kraft getreten, die den Unternehmen dezidiert vorschreibt, wie sie über nachhaltige Aspekte ihrer Geschäftstätigkeit künftig berichten müssen – teilweise schon für 2024.
15.000 Mittelständlern in Deutschland droht die Bürokratiefalle
Ziel der CSRD ist es, Transparenz herzustellen, sowohl hinsichtlich der Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf die Unternehmen als auch hinsichtlich der Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf Nachhaltigkeitsaspekte. Die Berichtspflicht wird stufenweise auf alle großen Kapitalgesellschaften und kapitalmarktorientierten Unternehmen ausgedehnt. Sie gilt bereits für große börsennotierte Unternehmen; ab 2026 sollen auch Mittelständler betroffen sein, die mehr als 10 Mitarbeiter, mindestens 700.000 Euro Umsatz oder eine Bilanzsumme von mehr als 350.000 Euro haben. EU-weit werden dann nach Schätzungen insgesamt rund 50.000 Unternehmen berichtspflichtig sein, allein in Deutschland etwa 15.000.
Weil mittlerweile die Rahmenbedingungen für die ESG-Berichterstattung feststehen, wird zusehends deutlich, welch enormer Aufwand mit den Nachhaltigkeitsberichten einhergeht. Viele Mittelständler müssen zunächst feststellen, welche Nachhaltigkeitsthemen für sie relevant sind und welche Daten sie für die Berichtspflichten benötigen, wo sie diese Daten herbekommen und wie sie zu verarbeiten sind. Die Unternehmen müssen für die Berichte zudem eine technische und personelle Infrastruktur sowie die nötige Expertise aufbauen. Viele Unternehmen sind dadurch gezwungen, ihre Geschäftsprozesse umzubauen und anzupassen. Das bindet finanzielle Mittel, wie zum Beispiel für die notwendige IT und Softwarelösungen, sowie Personal, das die Berichtspflichten umsetzt. Dadurch entstehen teils hohe Kosten, für die die KMU nicht immer die notwendigen Mittel zur Verfügung haben oder andere Investitionen zurückstellen müssen. Dabei ist die Mittelstandsfinanzierung ohnehin schon kein Selbstläufer mehr.
Immenser Aufwand für ESG-Berichtspflichten über gesamte Lieferkette überfordert den Mittelstand
Unternehmensberatungen berichten, dass für die Datenerfassung und -auswertung bislang häufig Excel-Tabellen genutzt werden. Das hält zwar die Kosten im Zaum, ist aber komplex, fehleranfällig und langwierig. Laut der Bonitätsauskunftei Schufa, die eine Online-Plattform für die Datenerfassung und Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten betreibt, sind mehr als 1100 Datenpunkte für die Unternehmen notwendig, um den Berichtsrichtlinien zu entsprechen. Diese betreffen dabei nicht nur das Unternehmen selbst, sondern auch Zulieferer und Kunden. So soll es möglich werden, Nachhaltigkeitsaspekte entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu prüfen.
Umgekehrt müssen die berichtspflichtigen Unternehmen auch Nachhaltigkeitsdaten an ihre Auftraggeber und Kunden für deren Nachhaltigkeitsberichte liefern, obwohl das Kapazitäten bindet und sie selbst davon keinen direkten Nutzen haben. Das ist in der CSRD so vorgesehen und vom deutschen Gesetzgeber mit dem ebenfalls seit Jahresbeginn in Kraft getretenen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bereits konkretisiert worden, noch bevor die entsprechende EU-Verordnung verabschiedet wurde.
Bürokratie treibt Unternehmen in den Exodus
Der Bürokratie-Aufwand für Datenerhebung und -auswertung ist also immens. Kein Wunder, dass angesichts des Bürokratie-Wahnsinns viele Unternehmen mit dem Gedanken spielen, ins Ausland abzuwandern. Die kritischen Stimmen in der Wirtschaft, die Erleichterungen und längere Übergangsfristen fordern, werden immer lauter. Michael Eßig, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Universität der Bundeswehr München, verdeutlicht das Problem: „Hinter den deutschen Lieferanten steht eine globale Lieferkette mit 16 bis 18 Stufen“. Lieferketten mit heutigen Mitteln bis in die letzte Instanz transparent zu machen, sei deshalb oft unmöglich.
Die DIHK beispielsweise fordert deshalb eine einfache und freiwillige Berichtspflicht für kleine und mittlere Unternehmen. Zumindest sollten die Berichtspflichten in Bezug auf Zulieferer und Kunden abschwächt werden. Dennoch könnten sie etwa Banken die notwendigen Informationen über ihre mittelständischen Kreditnehmer liefern. Der Mittelstandsverbund ruft ebenso wie der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) nach Erleichterungen bei den Berichtspflichten. Der Maschinenbauerverband hält die Pflicht zu Nachhaltigkeitsberichten sogar für „realitätsfremd“ und „nicht umsetzbar“. Das sieht auch die IHK Nordrhein-Westfalen so.
Bürokratie-Wahnsinn: Besser auf das Machbare konzentrieren
Wie eingangs erwähnt, zweifelt niemand am Sinn einer Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie ist nicht nur für Unternehmen und ihre Kunden wichtig, sondern dürfte künftig auch ein wesentliches Kriterium bei der Kreditvergabe der Banken oder dem Einstieg eines Investors sein. Neue Geschäftspartner werden künftig genau darauf achten, ob sie sich durch die Zusammenarbeit Nachhaltigkeitsrisiken ins Haus holen. Ohne ESG-Berichterstattung drohen den Unternehmen weitere Finanzierungsprobleme, schon jetzt achten Banken und Investoren wie etwa Fondsgesellschaften vermehrt auf Nachhaltigkeitsaspekte, bevor sie einen Mittelständler finanzieren.
Doch gerade mit Blick auf die KMU, die die Berichtsstrukturen und Prozesse in der Regel aus dem Nichts aufbauen müssen, ist die CSRD eine Zumutung. Das, was Europa einst stark machte, nämlich das Machbare umzusetzen, geht weiter verloren. Angesichts der auch ohne die Berichtspflichten überbordenden Bürokratie wird es höchste Zeit, dem Mittelstand den Weg in die Zukunft freizumachen, anstatt ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
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Hier schreiben die Kapitalmarktexperten der Quirin Privatbank über die deutsche Wirtschaft und alles, was den heimischen Mittelstand bewegt. Das erfahrene Team der Quirin Privatbank hat die Entwicklungen rund um die Mittelstandsfinanzierung immer im Blick und zeigt auf, welche alternativen Finanzierungsformen für KMU interessant sind.