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Fachkräftemangel: No more Deutsch needed

von Carsten Peter
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Der Fachkräftemangel bleibt auch im neuen Jahr eine wesentliche Wachstumsbremse für den deutschen Mittelstand. Die Gründe für die Probleme, qualifiziertes Personal zu gewinnen, sind vielfältig. Eine Studie legt jedoch nahe, dass ein Verzicht auf Deutschkenntnisse die Chancen für das Recruiting deutlich verbessert. Warum zu wenige Ausländer in Deutschland arbeiten wollen.

von Carsten Peter

Die deutsche Erwerbsbevölkerung schrumpft. Spätestens mit dem Wechsel der Babyboomer-Generation in den Ruhestand werden sich die eklatanten Lücken auf dem Arbeitsmarkt weiter vergrößern. Schon heute ist fast jeder siebte Ausbildungsplatz unbesetzt. Noch Ende 2022 sprach Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles davon, dass Deutschland pro Jahr 400.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland benötige, um den Bedarf an Fachkräften zu decken. Passiert ist allerdings wenig.

Vor allem Fachkräfte werden immer knapper. Erst kürzlich sprach der Schleswig-Holsteinische Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen davon, dass bis 2035 180.000 Fachkräfte allein in Schleswig-Holstein fehlen. In den anderen Bundesländern sieht es ähnlich schlecht aus.  In 352 von 801 Berufsgruppen gibt es laut Bundeswirtschaftsministerium aktuell einen Fachkräftemangel. Besonders betroffene Branchen sind etwa Sozialpädagogik, Kinderbetreuung, Altenpflege, aber auch Bauelektrik, Heizungsinstallateure und Informatik. Der Fachkräftemangel breitet sich immer weiter aus.

Für ausländische Fachkräfte ist Deutschland wenig verlockend

Nun zeigt sich, dass es nicht genügt, nach ausländischen Fachkräften zu rufen. Wer möchte, dass sie auch kommen, muss ihnen einerseits mehr bieten und die Stellenangebote attraktiver gestalten und andererseits Einstiegshürden abbauen. Nur ein überdurchschnittliches Gehalt zu bieten, greift jedenfalls zu kurz, wie ein Handelsblatt-Bericht nahelegt. Die weitaus meisten Fachkräfte in Mangelberufen verdienen demnach nämlich weniger als der Durchschnitt in den Bereichen. Ganz weit unten rangieren die Bäckereiverkäufer, Gastronomieservicekräfte und Arzthelfer. Und selbst in Berufen, in denen es inzwischen ein spürbares Gehaltsplus gab, etwa in der Altenpflege oder in der Gastronomie, genügt das offenbar nicht, um den Fachkräftemangel zu beheben.

Es muss also auch darum gehen, Einstiegshürden für ausländische Fachkräfte aus dem Weg zu räumen. Eines der wesentlichen Hindernisse für eine Einstellung ist dabei die deutsche Sprache, wie eine Studie der GISMA University of Applied Sciences in Potsdam unlängst festgestellt hat. Insbesondere deutsche Großkonzerne und weite Teile des Mittelstands fordern von ihren Bewerberinnen und Bewerbern gute Deutschkenntnisse, da in den Betrieben Deutsch die Arbeitssprache ist. Mittelstandsunternehmen verlangten der Untersuchung zufolge in 39 von 40 Stellenausschreibungen Deutschkenntnisse. Bei den DAX-Konzernen wurde in 31 von insgesamt 38 Fällen Deutsch vorausgesetzt.

Start-ups gehen deshalb neue Wege. Laut GISMA-Studie fordern lediglich vier der 32 untersuchten Unicorns von ihren BewerberInnen Deutschkenntnisse. Stattdessen verlangen 27 der Unicorns dafür Kompetenzen in Englisch. Der Grund:  Die Teams sind international aufgestellt, Büro- und Geschäftssprache ist Englisch.

Kaum Jobs auf Englisch für Fachkräfte

Durch den Fokus aufs Englische erreichen die Unicorns einen wesentlich größeren Pool an internationalen Bewerberinnen und Bewerbern als die Konkurrenz aus Mittelstand und DAX. Start-ups sind in ihren Anforderungen an Sprachkenntnisse agiler und vielfältiger als etablierte Unternehmen. „Deutschkenntnisse dürfen nicht länger Einstellungskriterium Nummer eins sein. In unserer heutigen globalisierten Welt ist es überholt, einer hoch qualifizierten Fachkraft abzusagen, weil sie nur Englisch spricht. Die deutsche Startup-Szene macht es vor“, kommentiert GISMA-Hochschulpräsident Stefan Stein die Ergebnisse. Die Studienergebnisse legen nahe, dass Flexibilität bei den für die Arbeit geforderten Sprachkenntnissen hilft, internationale Fachkräfte anzulocken.

Dass die deutsche Sprache die größte Hürde für ausländische Fachkräfte darstellt, sagt auch Chris Pyak, Karrierecoach für internationale Fachkräfte. Zwar schreckten auch Ausländerfeindlichkeit sowie mangelnde Freundlichkeit und Offenheit viele internationale Fachkräfte ab. Hauptgrund sei aber, dass es kaum Jobs auf Englisch gebe. Das hat Pyak tausenden Zuschriften internationaler Fachkräfte entnommen. Eine OECD-Umfrage unter 30.000 Besuchern des Fachkräfteportals der Bundesregierung zeigte zudem, dass mehr als die Hälfte einfach kein geeignetes Stellenangebot in Deutschland findet.

Laut Pyak findet Deutschland kaum ausländische Fachkräfte, weil international die verbreitetste Arbeitssprache Englisch ist, hierzulande aber kaum Jobs auf Englisch angeboten werden. Eine Auswertung von Stellenanzeigen habe gezeigt, dass nur vier Prozent aller deutschen Firmen Stellenanzeigen auf Englisch veröffentlichen. Lediglich 350 Unternehmen seien für die Hälfte aller englischsprachigen Jobanzeigen verantwortlich. Das hat zur Folge, dass sich viele Bewerber auf wenige Angebote stürzen, während sie bei rein deutschsprachigen Arbeitgebern wegen mangelnder Sprachkenntnisse praktisch chancenlos sind.

Sprache lernen „on the job“ hilft gegen Fachkräftemangel

Der Anspruch vieler Unternehmen hierzulande, dass neue Mitarbeiter die deutsche Sprache beherrschen müssen, ist anachronistisch und fatal. Denn dank der Europäischen Union haben Arbeitnehmer die Möglichkeit, in zahlreichen Sprachräumen zu arbeiten und Karriere zu machen. EU-Bürger haben im EU-Ausland automatisch eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Wer aber die Wahl zwischen verschiedenen Ländern und Sprachen hat, wird sich kaum vorher auf eine Landessprache festlegen. Vielmehr hält er sich alle Optionen offen, bis er die Stelle auch tatsächlich hat. Erst dann wird bereit sein, sich mit der Landessprache zu beschäftigen. Von Vorteil ist dabei, dass er die Sprache im Arbeitsumfeld viel schneller lernt.

Es ist für Unternehmen, die vom Fachkräftemangel betroffen sind, deshalb sinnvoll und zielführend, Stellenausschreibungen auf Englisch vorzunehmen und den neuen Mitarbeitern nach Einstellung Sprachkurse zu ermöglichen. Und sollten tatsächlich mal Verständigungsprobleme in den ersten Monaten auftauchen, genügt auch etwas Hilfe. In vielen Fällen ist es ökonomischer, anfangs mit Übersetzungstools oder einem Praktikanten für die Übersetzung zu arbeiten, als nicht-deutschsprachige Bewerber zu ignorieren oder gar abzulehnen. Gerade bei den gesuchten Fachkräften in den vom Mangel betroffenen Branchen ist die deutsche Sprache nicht zwingend erforderlich, um einen guten Job zu machen.

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