Deutschland ist zu abhängig vom klassischen Erdgas. Das hat das vergangene Jahr schmerzlich gezeigt: Bei der jüngsten Erhebung des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2020 war Erdgas mit 31,2 Prozent wichtigster Energieträger der Industrie. 90 Prozent des deutschen Erdgases werden importiert, davon bis vor Kurzem noch mehr als die Hälfte aus Russland. Mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist der Index für die Einfuhrpreise von Erdgas massiv in die Höhe geschossen: Von 62,5 im Jahr 2020 auf seinen Höhepunkt mit 611,1 – also fast das Zehnfache – im August 2022. Zwar ist der Index seitdem wieder gesunken, trotzdem lag er im November mit 417,2 weiterhin auf sehr hohem Niveau.
Spätestens seit Russland den Gashahn praktisch zugedreht hat und die Bundesregierung die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen hat, suchen zahlreiche deutsche Firmen unter Hochdruck nach Möglichkeiten, kurzfristig alternative Energiequellen für ihre Strom- und Wärmeerzeugung zu nutzen. Auch viele KMU wollen so schnell, wie möglich alternative Anlagen zur Energiegewinnung errichten, beispielsweise mit Öl oder Flüssiggas – im Fachjargon „Fuel Switch“. Denn die zunehmende Unsicherheit bei der langfristigen Gasversorgung und die unvorhersehbaren Preisentwicklungen empfinden immer mehr Mittelständler als existenzbedrohend.
Ein Fuel Switch kann Kosten sparen – wenn er schnell genug passiert
Doch das Umrüsten ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Zum einen gehen die Kosten für den Bau und die Inbetriebnahme neuer Energieversorgungsanlagen oft in den Millionenbereich. Diese hohen Zusatzkosten allerdings können gerechtfertigt sein, wenn sie mittel- oder gar langfristig für deutliche Einsparungen bei den Energiekosten für die bisherigen erdgas-basierten Anlagen sorgen – so das Kalkül vieler Firmenentscheider. Zumal sich die Unternehmen so auch gegen die Risiken einer möglichen Unterbrechung der Erdgaszufuhr absichern. Denn: Wer in einem solchen Szenario kurzfristig auf eine andere Energiequelle umschalten kann, vermeidet Produktionsausfälle, aber auch größere Schäden an laufenden Anlagen, die durch ein plötzliches Abschalten entstehen können.
Zum anderen stoßen KMU, die trotz hoher Investitionssummen das nötige Geld in die Hand nehmen, zurzeit auf einige Hürden. Denn immer wieder kommt es zu Lieferschwierigkeiten bei wichtigen Bauteilen für die Anlagen. Vor allem aber ist die Inbetriebnahme der Anlagen mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden und frisst kostbare Zeit, die die Unternehmer angesichts der aktuellen Lage nicht haben.
Viele bürokratische Hürden verlangsamen den Umrüstungsprozess
So ist beispielsweise die Installation von Flüssiggastanks über 3 Tonnen genehmigungspflichtig und alte Brenner oder stillgelegte Tankanlagen müssen neuesten Standards entsprechen, deren Erfüllung die Unternehmen nachweisen müssen. Das gesamte Genehmigungsprozedere ist oft mit diversen Gutachten und schriftlichen Nachweisen verbunden und dauert in der Regel länger als ein halbes Jahr, oft sogar mehr als ein Jahr. Im schlimmsten Fall nehmen die Firmen so, anstatt durch den Fuel Switch Kosten einzusparen, unfreiwillig doppelte Kosten in Kauf: erstens für die Umrüstung selbst und zweitens – in der Zeit des Wartens – unnötigerweise die massiv gestiegenen Erdgaskosten. Auch das Risiko eines Gasausfalls bleibt, solange die neuen Anlagen nicht genutzt werden können.
Die Brisanz der aktuellen wirtschaftlichen Situation macht mehr als deutlich, was sich bereits vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Zuge der von der neuen Bundesregierung geplanten Energiewende abgezeichnet hat: Ohne ein angemessenes Entgegenkommen seitens der Politik wird die Transformation nicht ohne herbe Verluste gelingen – weder langfristig noch erst recht unter den aktuell erschwerten Bedingungen.
Maßnahmen der Regierung könnte den Fuel Switch leichter machen
Im Rahmen des dritten Entlastungspakets hat die Regierung im vergangenen Jahr begonnen, die Rahmenbedingungen für die Beantragung neuer Anlagen zu vereinfachen und die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Doch diese Maßnahmen sind nur vorübergehend: So dürfen die Behörden den Firmen unter anderem bis auf weiteres erlauben, die Anlagen auch ohne endgültige Genehmigung gleich nach Antragstellung in Betrieb zu nehmen. Das spart Zeit, birgt aber auch das Risiko, dass die Genehmigung nachträglich doch nicht erteilt wird, und die Anlage somit wieder abgeschaltet werden muss.
Generell ist die vorübergehende Vereinfachung des Prozederes somit ein erster Schritt in die richtige Richtung. Doch es müssen weitere, deutlich entschiedenere Schritte folgen: Die jetzige geopolitische Lage, die dieses schnelle Handeln erfordert, wird – hoffentlich – vorübergehen. Und dann wird das Thema Energiewende wieder ganz oben auf der politischen Agenda der Bundesregierung stehen. Damit die Unternehmen ihre Energieversorgung auch langfristig nachhaltiger aufstellen können, ist also auch ein Bürokratieabbau unabdingbar.
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