Der zweite Teil unserer Serie „Industrie 4.0“ zeigt, welche Vorteile die Technik hinter der „virtuellen Realität“ für KMU bereithält. Besonders interessant für Unternehmen sind Anwendungen wie etwa Augmented Reality. Die Technologie hilft dabei, Planungs- und Fertigungsprozesse sowie Serviceleistungen zu verbessern und Personal effizienter einzusetzen.
Die Technik zur Erzeugung virtueller Realitäten schreitet immer weiter voran: Mittlerweile können Computer digitale Inhalte auf den Bildschirm, der statt eines Glases in einer Brille steckt, projizieren. Dadurch entstehen zum Greifen nahe „virtuelle Welten“. Wer so etwas liest, wird wahrscheinlich eher an Videospiele statt an mittelständische Unternehmen denken.
Doch was erstmal nach einer Spielerei klingt, birgt für KMU unheimlich viel Potenzial. Denn: Die so genannte „Augmented Reality“ ist keineswegs nur ein Gimmick für Videospieler. Die virtuelle Erweiterung kommt ganz praktikabel bereits in vielen Branchen zum Einsatz, etwa in der Logistik, zur Navigation in Gebäuden, bei der Planung und Vorstellung von Prototypen und Modellen sowie der Wartung von Maschinen.
Virtual und Augmented Reality im Vergleich
Die Technik hinter den virtuellen Realitäten wird allgemein als Extended-Reality bezeichnet und unterscheidet sich in Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR). Bei Letzterem wird die Umgebung, die auf die Bildschirme der Brille gesetzt werden, komplett virtuell dargestellt.
Augmented Reality hingegen nutzt ein transparentes Brillendisplay, welches die reale Umgebung darstellt und Zusatzinformationen über die betrachtete Umgebung digital erweitert. Mittels eines PCs werden Bilder oder 3D-Modelle berechnet und über die reale Umgebung gelegt – welche Infos dargestellt werden und in welcher Form dies geschieht, ist immer vom Kontext der Umgebung abhängig. Die AR-Datenbrille ist zudem mit zahlreichen Sensoren ausgestattet, die GPS-Signale empfangen können und jede Bewegung des Nutzers nachverfolgen. So werden die genaue Position und jeder Blickwinkel des Brillenträgers erfasst und dargestellt. Blickt der Nutzer etwa auf eine Maschine in der Lagerhalle, werden auf das Brillendisplay digital Echtzeitinformationen eingeblendet – gesteuert wird die Brille mittels Touchpad oder Sprachbefehl. Die von virtuellen Informationen überlagerten Bilder lassen sich etwa auf das Smartphone oder Tablet oder auf das Display weiterer Nutzer mit AR-Brillen streamen. Ein Vorteil: Alle Projektbeteiligten sehen dieselben Informationen.
Augmented Reality und Mittelstand: Zahlreiche Anwendungsbereiche
Die Anwendungsmöglichkeiten für AR können Prozesse für den Mittelstand deutlich einfacher und effizienter gestalten. So ist es etwa möglich, dass Mitarbeiter einer Fabrik Maschinen mit der AR-Brille unter die Lupe nehmen und auf den ersten Blick sehen, wie der Produktionsauftrag der Maschine lautet, wann sie gewartet werden muss und wie viele Einheiten bereits produziert wurden. Sollte die Maschine nicht funktionieren, kann die AR-Brille mittels eines „Röntgenblicks“ anzeigen, wo der Fehler liegt. Gleichzeitig können das Handbuch und verschiedene Lösungsansätze digital in die Umgebung eingeblendet werden – die Hände bleiben so zum Arbeiten immer frei, da alle Informationen automatisch im Blickfeld angezeigt werden.
Augmented Reality spart Ressourcen und Kosten
Macht sich ein Techniker an die Reparatur, kann er sein AR-Bild samt Informationen und virtuellen Markierungen auf die Brillen seiner Mitarbeiter übertragen. Weitere Techniker und Experten müssen somit nicht aus der Zentrale ausrücken, sondern können live bei der Reparatur dabei sein und jederzeit Anweisungen geben. Dadurch kann ein Techniker in der Zentrale mehrere Probleme parallel lösen. Mittelständische Unternehmen können so ihren Support deutlich verbessern, da Maschinen schneller und unkomplizierter repariert werden können. Noch deutlicher wird der Vorteil für zu wartende oder reparierende Maschinen im Ausland. Schließlich muss nur ein Techniker vor Ort sein, weitere Mitarbeiter könnten über ihre Brille hinzugeschaltet werden. So spart man unter anderem Kosten für Flüge, Spesen und Übernachtungen.
Darüber hinaus erleichtert das AR-System Unternehmen die Logistik. So können beispielsweise Gabelstaplerfahrer von virtuellen Pfeilen durch die Lager geleitet werden, bis sie am Ziel sind. Mittels eines Scanners in der AR-Brille kann der Fahrer dann die Barcodes auf den Verpackungen scannen und so sicher sein, dass er auch den richtigen Artikel in der richtigen Stückzahl entnommen hat. Die AR-Brille hilft zudem in der Lagerplanung: In Echtzeit werden die Umgebung gescannt und anhand eines virtuellen Maßbandes verschiedene Lagermöglichkeiten angezeigt.
Markt für AR-Lösungen wächst rasant
Deutliches Potenzial erhält die AR-Technik in Kombination mit weiteren Anwendungen der Industrie 4.0. So gibt es schon erste Programme, die AR-Brillen, 3D-Drucker und Robotik miteinander verbinden. Dabei kann etwa ein Designer mit AR-Brille vor ihm holographische Modelle im Raum entwerfen, die dann von einem Roboterarm mittels 3D-Druck direkt plastisch nachgebaut werden. Während der Designer die Vorderseite des Objekts in der AR-Anwendung modelliert, kann der Roboter währenddessen bereits die Rückseite des Modells bauen. Änderungen können in Echtzeit aufgenommen und vom Roboterarm direkt umgesetzt werden. Kurzum: Durch das Zusammenspiel der Industrie 4.0-Techniken können Planungs- und Fertigungsprozesse stark beschleunigt und effizienter umgesetzt werden.
Das klingt zwar noch stark nach Zukunftsmusik, jedoch sind der digitale Wandel und daraus hervorgehende Innovationen bereits dabei, Strategien und Geschäftsmodelle, Dienstleistungen sowie die Herstellung von Produkten nachhaltig zu verändern. Wer früh genug auf den „Digital-Zug“ aufspringt, dürfte auch am ehesten von diesem Wandel profitieren. Dass das Interesse an Innovationen wie AR-Brillen stark steigt, zeigen Zahlen besonders gut: So geht eine Studie der Deutschen Bank davon aus, dass der globale AR-Markt in diesem Jahr auf 7,5 Milliarden Euro anwachsen wird – 2017 waren es noch 500 Millionen Euro. Der Vermögensverwalter Goldman Sachs geht sogar davon aus, dass der Markt um virtuelle Realitäten bis 2025 bereits 80 Milliarden US-Dollar wert sein könnte. Vor allem im Bereich der Arbeitswelt soll die Technologie am stärksten wachsen.
Überschaubare Einstiegskosten
Wer schon jetzt in die virtuelle Arbeitswelt einsteigen will, kann dies vergleichsweise günstig tun: Die neueste Version der AR-Lösung vom Internet-Giganten Alphabet „Google Glass Enterprise Edition 2“ ist ab 1.000 Dollar erhältlich. Microsofts Lösung „Hololens 2“ ist ab 3.500 Euro zu haben. Die AR-Brille Meta 2 des kleineren Entwicklers Metavision ist für 1.700 Euro erhältlich, zudem bietet Technikhersteller Toshiba mit dynaEdge DE-100 und AR100 Viewer eine Kombinationslösung mit tragbarem Mini-PC – Preise auf Anfrage.
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