Das erste Halbjahr war arm an Börsengängen, schon 2022 war ein schwaches IPO-Jahr. Nun aber könnte sich das Blatt wenden. Anleger können sich freuen: Es warten viele namhafte Unternehmen nur auf den richtigen Zeitpunkt für ihr Börsendebüt.
Auf den Börsengang des britischen Chipkonzerns ARM freuen sich nicht nur Anleger, sondern sogar die Konkurrenz. ARMs Chips finden sich in nahezu allen Smartphones, da sie besonders schnell und stromsparend sind und sich nicht so stark erwärmen wie andere Prozessoren. Dafür verwendet ARM eine Technologie, die sich grundsätzlich von der anderer Chiphersteller wie Intel, Nvidia, Qualcomm oder Samsung unterscheidet. Nvidia wollte ARM bereits 2020 für 40 Milliarden Dollar übernehmen, scheiterte aber an den Regulierungsbehörden. Weil die Wettbewerber aber gerne Zugriff auf die ARM-Technologie hätten, um sie in ihren eigenen Chipfabriken zu verwenden, schielen angeblich Intel, Qualcomm und Samsung auf den Börsengang von ARM, um sich bei dieser Gelegenheit als Ankerinvestoren an den Briten zu beteiligen.
Am 21. August hat ARM nun ihren Börsenprospekt veröffentlicht und damit ihren Börsengang an der Technologiebörse Nasdaq eingeleitet. Wann das IPO genau stattfinden soll, und in welcher Preisspanne die Aktien angeboten werden, steht allerdings noch nicht fest. Die meisten Marktbeobachter rechnen jedoch mit einem IPO im zweiten Halbjahr – so wie bei etlichen anderen Firmen, die in den Startlöchern für einen Börsengang stehen. Zeit also für eine Zwischenbilanz des IPO-Jahres und einen Ausblick auf das zweite Halbjahr.
Weniger IPOs, weniger Emissionsvolumen, aber gute Aussichten
Viele der Börsenkandidaten wollten eigentlich schon längst den Gang auf das Börsenparkett wagen, mussten ihre Pläne aber wegen des zunehmend schwierigen Marktumfelds verschieben. Neben Ukraine-Krieg und hohen Zinsen belasteten auch Rezessionsängste und die Bankenpleiten in den USA die Aktienmärkte. Hatte es 2021 noch knapp 400 IPOs gegeben, waren es schon 2022 nur noch 71. Und in den ersten fünf Monaten dieses Jahres gab es weltweit so wenige IPOs wie zuletzt 2009. Auch das weltweite Emissionsvolumen war im Vergleich zum Vorjahr rückläufig und sank im ersten Quartal auf 21,5 Milliarden US-Dollar nach 54,6 Milliarden US-Dollar im ersten Quartal 2022.
Doch zuletzt hat sich die Stimmung am Aktienmarkt merklich aufgehellt. Weil die Rezessionssorgen nachgelassen haben und bei den Zinserhöhungen ein Ende absehbar ist, sind die Börsen wieder auf Erholungskurs. Der deutsche Leitindex DAX markierte Ende Juli sogar ein neues Allzeithoch. Zudem fand Anfang Mai die bislang größte Aktienneuemission des laufenden Jahres statt: Kenvue, die Consumer-Health-Sparte von Johnson&Johnson, wurde zum Börsengang mit 42 Milliarden Dollar bewertet und sammelte 3,8 Milliarden Dollar von Investoren ein.
Damit können Börsendebütanten wieder mit einer höheren Bewertung ihrer Aktien rechnen und auf einen steigenden Kurs nach der Erstnotiz hoffen. Für Anlegerinnen und Anleger sind IPOs oftmals eine gute Chance, Aktien noch preiswert zu kaufen und später mit Gewinn über die Börse zu verkaufen. Die Marktkapitalisierung von Kenvue etwa kletterte seit dem IPO um weitere drei Milliarden Dollar. „Wir sehen, dass IPO-Kandidaten daran arbeiten, ihre Zeitpläne für den Börsengang zu flexibilisieren […], um von einem günstigen Marktumfeld zu profitieren, wenn es sich kurzfristig bietet“, heißt es in einer Analyse des IPO-Markts der Beratungsgesellschaft EY vom 30. März. Nun scheint es so weit zu sein.
IPOs 2023: Viele Kandidaten in Europa und Deutschland
Die Lage hat sich gerade für milliardenschwere IPO-Kandidaten verbessert. Chip-Spezialist ARM könnte zum Börsengang beispielsweise schon mit 60 Milliarden Dollar bewertet werden. Durch Ausgabe neuer Aktien könnte das Unternehmen acht bis zehn Milliarden Dollar einnehmen. Weitere Schwergewichte sind in der Pipeline: Der US-Zahlungsdienstleister Stripe etwa könnte Schätzungen zufolge mit 74 Milliarden Dollar bewertet werden, der aufstrebende vietnamesische E-Auto-Hersteller Vinfast mit 60 Milliarden Dollar und Börsenkandidat TikTok könnte bei seinem IPO auf einen Börsenwert von 50 Milliarden Dollar kommen. Aber erst muss TikTok die Regularien zum Datenschutz in den USA umsetzen, daher könnte sich das IPO auch noch ins nächste Jahr verschieben.
Auch in Europa warten etliche Unternehmen auf eine günstige Gelegenheit zum Börsengang. „Die Pipeline ist stark und wächst – sowohl in Europa insgesamt als auch in Deutschland“, stellt EY in seiner IPO-Analyse fest. Insbesondere Unternehmen aus dem Branchen Energie und erneuerbare Energien, Technologie und digitale Transformation sowie generell einem nachhaltigen Geschäftsmodell haben demzufolge gute Chancen auf ein erfolgreiches IPO. Das gilt insbesondere auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die mit diesen Themen bei Investoren punkten können.
Bekannt sind indessen vor allem die Börsenpläne der Großunternehmen. Börsenkandidaten aus Deutschland sind etwa Schott Pharma, Stepstone, Techem oder Motel One. Die Chancen, dass Nucera das Eis am hiesigen IPO-Markt bricht und weitere Börsendebüts folgen, stehen derzeit gut.
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