Der KMU-Anleihemarkt ist in die Zeiten der Finanzkrise 2008/2009 entstanden. Damals sah sich der kreditfinanzierte Mittelstand in Deutschland plötzlich einer nie gekannten, extrem restriktiven Fremdkapitalvergabe der Banken ausgesetzt. Gleichzeitig führten gesunkene Leitzinsen auf Seiten von institutionellen wie auch privaten Investoren zu einem großen Anlagebedarf. So entstand ein neuer Markt für börsengehandelte Unternehmensanleihen – ein Markt, der zuvor allein Staaten, Versicherungen, Banken und ausgewählten Großkonzernen vorbehalten gewesen war. Ein Gastbeitrag von Frederic Hilke.
In diesem vorteilhaften Umfeld bewegten sich mittelständische Anleiheemittenten mehr als ein Jahrzehnt. Doch mit der harten Zinswende herrschen nun bisher unbekannte Rahmenbedingungen, die nicht ohne Folgen blieben. So verzeichnete der KMU-Anleihemarkt im Jahr 2022 das niedrigste Emissionsvolumen seit 2012. Auch beim Blick auf den US-Markt zeigte sich eine im Zuge der neuen Geldpolitik stark verringerte Emissionsaktivität bei Hochzinsanleihen.
Die neuste Edition einer von uns jährlich durchgeführten Studie gibt nun Überblick darüber, wie sich der deutsche Markt im Jahr 2023 entwickelt hat und welche Aussichten für 2024 bestehen.
Platzierungsvolumen und durchschnittlicher Kupon steigen deutlich
Der deutsche Markt für KMU-Anleihen hat sich im Jahr 2023 trotz deutlich gestiegener Kupons leicht erholt. Die Zahl der Emissionen bewegte sich auf dem Niveau des Vorjahres, während das bei Investoren platzierte Volumen um gut ein Drittel zulegen konnte. Der durchschnittliche jährliche Kupon erhöhte sich erwartungsgemäß im Zuge des gestiegenen Zinsniveaus um knapp 190 Basispunkte auf 8,64 % (2022: 6,77 %).
Insgesamt wurden 24 KMU-Anleihen (2022: 23 Anleihen) von 23 Unternehmen mit einem Zielvolumen von 983 Mio. Euro begeben, darunter zahlreiche in dem Segment etablierte Emittenten. Das platzierte Volumen stieg um 34 % auf 788 Mio. Euro, was einer Platzierungsquote von knapp 80 % entspricht.
Von den 24 Emissionen entfielen 19 auf Folgeemissionen und lediglich fünf auf Debütanleihen. Der erstmals erhobene Anteil nachhaltiger Schuldverschreibungen lag bei 25 %. Das Ausfallvolumen – ausgelöst durch vier Insolvenzen, darunter der Modekonzern Gerry Weber und der Immobilienentwickler Euroboden – stieg auf 340 Mio. Euro (2022: 148 Mio. Euro).
Trotz der Herausforderungen konnte sich der KMU-Anleihemarkt somit auf niedrigem Niveau behaupten. Gerade die erfolgreichen Folgeemissionen etablierter Emittenten sind ein wichtiger Indikator, dass der Markt weiterhin aufnahmefähig ist und in Zeiten restriktiver Kreditvergabe ein etablierter Finanzierungskanal für mittelständische Unternehmen bleibt. Neuemittenten haben den Markt aufgrund erhöhter Risikoprämien im vergangenen Jahr entweder gemieden oder hatten einen schweren Stand.
KMU-Anleihemarkt: Energiesektor dominiert Emissionstätigkeit
Die 24 Anleihen der 23 KMU-Anleiheemittenten verteilten sich im Jahr 2023, wie auch im Vorjahr, auf acht verschiedene Branchen. Die Energiebranche dominierte erneut den Primärmarkt für KMU-Anleihen. Insgesamt wurden acht Anleihen von Unternehmen aus diesem Sektor begeben, gefolgt von den Finanzdienstleistungen (fünf Emissionen) und der Immobilienbranche mit vier Emissionen.
Die im Jahr 2023 durchgeführten Folgeemissionen (19) verzeichneten eine solide Platzierungsquote (89 %). Im Gegensatz dazu lag die Platzierungsquote bei zwei der fünf Neuemissionen lediglich bei durchschnittlich 28 %. Bei den übrigen drei Neuemissionen wurden keine Platzierungsergebnisse veröffentlicht, was auf eine sehr geringe Platzierungsquote schließen lässt.
Die acht im Jahr 2023 am KMU-Anleihemarkt erfolgten Eigenemissionen verzeichneten mit 42 % eine deutlich schlechtere Platzierungsquote als Emissionen mit Bankbegleitung (16), die eine Platzierungsquote von rund 86 % aufwiesen. Hier zeigt sich zum wiederholten Male: Eine professionelle Transaktionsbegleitung ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Emission.
Bei der Platzierungsform bestätigte sich die Dominanz öffentlicher Angebote, die konstant 83 % der Emissionen ausmachten. Hier spielt das Ziel der Platzierungssicherheit in einem schwierigen Marktumfeld eine Rolle, die durch öffentliche Angebote erhöht wird.
Nachhaltige KMU-Anleihen
Aufgrund der wachsenden Zahl und Bedeutung von Green Bonds, Social Bonds und ähnlichen ESG-bezogenen Anleihen am KMU-Anleihemarkt wurde in der Gesamtjahresstudie 2023 erstmals eine gesonderte Übersicht erstellt, in der alle KMU-Anleihen aufgeführt werden, die einen ICMA-Standard (GBP, SBP, SLBP) oder einen vergleichbaren Standard befolgen und für die ein Rating und/oder eine SPO (Second Party Opinion) vorliegt.
Im Gesamtjahr 2023 konnten sechs nachhaltige Anleihen identifiziert werden, die mehrheitlich eine SPO von imug rating aufwiesen (vier von sechs Anleihen). Der durchschnittliche jährliche Kupon lag mit 8,00 % unter dem durchschnittlichen Zinsniveau aller KMU-Anleihen (8,64 %).
Prognose 2024: KMU-Anleihemarkt auf Vorjahresniveau
Zum Ausblick für 2024 hat die IR.on AG neun im KMU-Segment aktive Emissionshäuser befragt. Im Durchschnitt erwarten diese für das laufende Jahr 22 Emissionen.
Die Emissionshäuser bleiben damit bei ihrer Prognose der Anzahl der Emissionen am KMU-Anleihemarkt gewohnt zurückhaltend. Wesentlicher Hemmschuh bleibt die Kuponentwicklung, wobei sich hier im Detail ein gemischtes Bild ergibt. Vier der neun Befragten gehen für 2024 von gleichbleibenden Zinssätzen aus. Drei Emissionshäuser rechnen mit sinkenden Kupons, während die übrigen zwei von steigenden Kupons ausgehen.
Als Treiber werden vor allem anstehende Refinanzierungen sowie der anhaltend hohe Kapitalbedarf zur Bewältigung der grünen Transformation in vielen Branchen gesehen. Dies deckt sich auch mit der Erwartung eines weiterhin dominierenden Energiesektors unter den Emittenten.
Bei den Trends erwartet die Mehrheit der Emissionshäuser weiter steigende Transparenzanforderungen. Das an Bedeutung zunehmende Nordic Bond Format setzt hier Maßstäbe auch für klassische deutsche Emissionen. Darüber hinaus rechnen die Banken mit einer wachsenden Bedeutung von Nachhaltigkeitsthemen. Sieben der neun Emissionshäuser gehen davon aus, dass im Jahr 2024 ein Anteil von mindestens 30 % auf nachhaltige Anleihen entfallen wird.
Eine Zusammenfassung der Erhebung ist über die Website der IR.on AG unter https://ir-on.com/kmu-anleihen/ erhältlich.
Frederic Hilke ist Leiter des Bereichs IR Consulting der IR.on AG, einer unabhängigen Beratungsgesellschaft für Investor Relations, Finanz- und Nachhaltigkeitskommunikation. Seit 2016 betreut er börsennotierte Unternehmen und Anleiheemittenten bei der laufenden Investor Relations Arbeit. Darüber hinaus unterstützt er internationale Kunden bei ihrer Unternehmenskommunikation in Deutschland. Zuvor konnte er im Rahmen verschiedener Tätigkeiten Erfahrung in der Strategieentwicklung und der Commercial Due Diligence gewinnen. www.ir-on.com