Im Interview spricht Thomas Dierkes, Geschäftsführer der Börse Düsseldorf, über derzeitige Trends an der Börse, Finanzierungsmöglichkeiten für Mittelständler und warum ein Reverse-IPO für viele KMU sinnvoller als ein SPAC sein kann.
Die Zinsen sind niedrig – und werden es womöglich auch noch eine ganze Weile bleiben. Weshalb kann sich für KMU dennoch ein IPO lohnen?
Thomas Dierkes: Die Zinsen werden auch in Zukunft niedrig bleiben, denn steigende Zinsen könnten viele Staaten derzeit kaum tragen. Das wirkt sich natürlich auch auf die Kapitalmärkte aus. KMU kommen nach etwaigen Finanzierungsrunden durch Business Angels und Venture Capital häufig nicht mehr so leicht wie früher an eine Kreditfinanzierung durch Banken. Dementsprechend braucht es oftmals andere Finanzierungsformen. Aktien sind daher in der vergangenen Zeit als Finanzierungsalternative für kleine und mittlere Unternehmen attraktiver geworden. An der Börse Düsseldorf stellen wir fest, dass die Zahl der KMU, die an die Börse wollen, zugenommen hat. Das bedeutet aber nicht, dass Unternehmen bei Interesse einen direkten Anspruch auf ein Börsenlisting haben. Natürlich müssen Geschäftsmodell und -grundlage stimmen und die Unternehmen schon im Vorfeld Transparenzanforderungen erfüllen.
Wobei man beim Börsengang auch unterscheiden muss: Die wenigsten KMU gehen mit einem IPO im eigentlichen Sinn an die Börse. Im vergangenen Jahr haben an der Düsseldorfer Börse elf Unternehmen ein Erst-Listing im Freiverkehr durchgeführt. Eine Notierung ist für viele institutionelle Investoren essentiell und Voraussetzung für ein Engagement. Daher erfolgt nach der Notierungsaufnahme an der Börse nicht selten eine Privatplatzierung, mit der sich institutionelle Investoren am Unternehmen beteiligen. Ein IPO im Sinne einer direkten öffentlichen Platzierung findet bei KMU eher selten statt.
Die Börse ist für viele KMU zwar eine beliebte Finanzierungsmöglichkeit. Dennoch gibt es im Gegensatz zu anderen Ländern immer noch vergleichsweise wenige IPOs in Deutschland. Was muss der Börsenstandort Deutschland ändern, um auch kleineren Unternehmen den Schritt auf das Börsenparkett zu erleichtern?
Thomas Dierkes: Der Staat könnte durch steuerliche Anreize und Entlastungen für KMU den Gang an die Börse erleichtern und so den nationalen Börsenstandort attraktiver gestalten. Notierungsrelevante regulatorische Anforderungen sollten aber nicht runtergeschraubt werden. Die Vorlage von Jahresabschlüssen, regelmäßige Finanzberichte und Reportings sind vernünftig und als Pflichten absolut beherrschbar. Würde man auf solche Kriterien verzichten, fielen gleichzeitig wichtige Transparenz-Bausteine weg, die die Börse, Unternehmen und Anleger brauchen.
Davon abgesehen profitieren Börsenstandorte wie die USA von einer Vielzahl chancenorientierter Investoren. Unternehmen mit „digitalen“ Geschäftsmodellen, die ein Listing an der Nasdaq anstreben, finden insbesondere im Silicon Valley schneller und einfacher Zugang zu Risikokapitalgebern. Eine vergleichbare Investmentkultur gibt es bei uns leider nicht.
Welche Rolle spielen die regionalen Börsen, um mittelständischen Unternehmen den Gang an die Börse zu ermöglichen?
Thomas Dierkes: Die Börse Düsseldorf bietet eine perfekte Umgebung für mittelständische Unternehmen, die nach der zu ihnen passenden Börse suchen. Wir stehen regelmäßig in direktem Kontakt mit den jeweiligen Unternehmenslenkern. Unterstützt wird der Emittent seit 2010 durch ein Kapitalmarktpartnernetzwerk. Jeder der Kapitalmarktpartner – unter anderem arbeiten wir hier sehr gut mit der Quirin Privatbank zusammen – verfügt über Erfahrungen bei der Finanzierung von KMU über die Börse und verfügt über eine entsprechende Börsenzulassung. In dem Netzwerk finden Unternehmer alle Dienstleistungen, die es für einen erfolgreichen Börsengang braucht. Kapitalmarktpartner sind für uns deshalb wichtig, weil sie den gesamten Prozess beratend begleiten, von der Vorbereitung des Listings bis zur Emission.
Wir schaffen Unternehmen so ein verlässliches Umfeld und vermitteln von Anfang an ein genaues Verständnis davon, was an der Börse zu erwarten ist. Was für Unternehmen außerdem wichtig ist: Häufig bringen Kapitalmarktpartner auch bereits interessierte Investoren mit, verfügen also über das, was man auch Platzierungskraft nennt. Durch unser Netzwerk nehmen wir den Unternehmen viel Arbeit ab. Ein eigener Anleger-Newsletter und Investorenveranstaltungen runden das Paket ab. Die Skontroführung, also die Preisfeststellung an der Börse Düsseldorf, liegt in den bewährten Händen der ICF BANK, die auch das Kapitalmarktgeschäft gut kennt.
In den USA boomen schon seit geraumer Zeit Special Purpose Akquisition Company, kurz SPAC. Welche Chancen und Risiken bieten SPACs für mittelständische Unternehmen?
Thomas Dierkes: Bei der aktuell großen Aufmerksamkeit rund um SPACs sollte man Bedenken, dass es sich dabei zunächst um Gesellschaften handelt, die auf Zeit angelegt sind. Die Investoren, die das SPAC initiieren, haben meist zwei Jahre Zeit, um ein geeignetes Unternehmen zu finden, was erworben werden kann und danach in den Börsenmantel „einzieht“. In der Zeit liegt das eingesammelte Geld auf einem Treuhandkonto. Mit dem deutschen Aktienrecht sind SPACs unter anderem wegen der zeitlichen Befristung nicht vereinbar. Deswegen sind sie regelmäßig nach ausländischem Recht gegründet. Für Mittelständler ist ein SPAC aus meiner Sicht schon mit Blick auf die übliche Dotierung mit dreistelligen Millionenbeträgen aber keine geeignete Finanzierungsalternative.
123fahrschule.de hat sich jüngst für ein Reverse IPO entschieden. Was sind die entscheidenden Unterschiede zwischen SPAC und Reverse IPO?
Thomas Dierkes: Bei einem Reverse-IPO ist die AG, in die der Börsenkandidat „hineinschlüpft“, schon an der Börse notiert. Das bereits operativ tätige Unternehmen nutzt eine solche Gesellschaft für den eigenen Gang an die Börse. Die 123fahrschule.de ist hier ein gutes Beispiel. Über eine Sachkapitalerhöhung wurde das Unternehmen in eine nicht operativ tätige Gesellschaft, die Livonia SE, eingebracht. Die Aktien der Livonia SE waren bis zu dem Zeitpunkt schon im Freiverkehr an der Börse Düsseldorf notiert.
Für KMU bietet ein Reverse-IPO eine attraktive Möglichkeit für den Eintritt in den börslichen Kapitalmarkt. Der Prozess ist vergleichsweise schnell durchführbar. Anders als bei einem SPAC, bei dem die Investoren die Zielgesellschaft aussuchen, geht bei einem Reverse IPO die Initiative vom operativ tätigen Unternehmer aus. Mit einem verlässlichen Kapitalmarktpartner, der den ganzen Prozess begleitet, ist das für kleinere und mittlere Unternehmen eine smarte Alternative zu einem klassischen Listing.
Zuletzt haben sich zahlreiche KMU für ein IBO entschieden bzw. planen eine Anleiheemission. Erwarten Sie angesichts einer wahrscheinlich restriktiveren Kreditvergabe und niedriger Zinsen eine Fortsetzung dieses Trends?
Thomas Dierkes: Auch im Niedrigzinsumfeld wird es für bonitätsstarke Unternehmen weiter Kredite geben. Bei KMU tun sich die Banken aufgrund der nicht selten weniger diversifizierten Aufstellung und des damit einhergehenden Risikoprofils etwas schwerer. Für KMU kann die Emission einer Anleihe eine gute Alternative zur Aufnahme von Fremdkapital sein. Es lässt sich beobachten, dass der Markt hier zuletzt deutlich zugenommen hat. Wichtig ist, dass nun nicht Fehler wiederholt werden, die 2013/2014 bei den seinerzeit so genannten Mittelstandsanleihen gemacht wurden.
Weshalb sollten Investoren in KMU-Anleihen investieren – vor dem Hintergrund, dass vor allem 2016/17/18 zahlreiche Bonds nicht bedient wurden? Oder anders gefragt: Hat der Markt für Mittelstandsanleihen wieder an Vertrauen gewonnen, bei Unternehmen und Investoren?
Thomas Dierkes: Die steigende Anzahl bei KMU-Anleihen hat vermutlich mindestens zwei Ursachen: Ein wieder erstarktes Vertrauen bei Investoren und eine anhaltend hohe Liquidität, die nach Investitionsmöglichkeiten sucht. Investoren sollten Unternehmen und Anleihebedingungen vor einer Kaufentscheidung genau prüfen und bewerten. Das gilt insbesondere für Private – Profis machen das ohnehin. Es sollte stets bedacht werden, dass es keine risikolose Rendite gibt. Selbst bei als sicher eingestuften Staatsanleihen haben sich Investoren schon die Finger verbrannt.
Thomas Dierkes | Interviewpartner
Thomas Dierkes ist seit 2008 Geschäftsführer der Börse Düsseldorf. Seit 2017 ist er zudem Zweigniederlassungsleiter der Börsen AG, Trägergesellschaft und Betreiberin der Wertpapierbörsen Hamburg, Hannover und Düsseldorf.