Die Wirtschaft in Deutschland atmet nach monatelangem Lockdown auf. Doch schon droht das nächste Schreckensszenario: Die globalen Lieferketten sind überlastet, es kommt zu starken Verzögerungen und Ressourcenknappheit. Viele KMU, die sich über volle Auftragsbücher freuen, können die Nachfrage kaum decken. Mittelständler sind daher gut beraten, ihre Supply Chains auf den Prüfstand zu stellen und für die Zukunft krisenfester zu machen.
Die Wirtschaftsstimmung im Mittelstand hellt sich auf, die Konjunkturampel springt wieder auf grün. Kaum ist der Corona-Schock ansetzweise verdaut, droht auch schon das nächste Problem, die wirtschaftliche Erholung auszubremsen. Zwar steigt die Nachfrage auf Konsumentenseite stetig an, doch Unternehmen kommen kaum mit dem Angebot nach. Die zwei wesentlichen Gründe dafür sind: Es herrschen Engpässe auf den Rohstoffmärkten und globale Lieferketten verzögern sich aktuell in starkem Ausmaß.
So klagen derzeit 17% der mittelständischen Unternehmen, dass Störungen in den Lieferketten den wirtschaftlichen Erholungskurs belasten. Fast jeder zweite Betrieb hat demnach mit Produktionsproblemen wegen Verzögerungen in der Supply Chain zu kämpfen. Das liegt vor allem daran, dass viele KMU Waren und Ressourcen aus dem asiatischen Markt beziehen, der immer wieder von Corona-Wellen betroffen ist. Doch wer denkt, dass sich die Probleme im Lieferverkehr in wenigen Monaten von alleine lösen, könnte sich täuschen. Wirtschaftsexperten rechnen damit, dass Lieferengpässe noch bis Ende 2022 oder darüber hinaus andauern.
Regionale Lieferanten sorgen für Unabhängigkeit
Damit Verzögerungen in der Lieferkette kleine und mittlere Unternehmen trotz voller Auftragsbücher nicht den wirtschaftlichen Erfolg kosten, gehört das interne Supply Chain Management (SCM) dringend auf den Prüfstand. Mehrere Konzepte können dabei helfen, die Lieferkette krisenfester zu machen und so das eigene Unternehmen zu stärken.
1. Digitale Transformation der Supply Chain: Eine grundlegende Digitalisierung der Lieferkette ermöglicht volle Transparenz aller Zuflüsse in Echtzeit. Alle Beteiligten haben die Lieferkette jederzeit komplett im Blick und können auf unvorhergesehene Ereignisse schnell reagieren und ihre Prozesse entsprechend anpassen. So kann auf Probleme beim Lieferanten und Schwierigkeiten im Versand – etwa bei Engpässen im Hafen – rechtzeitig reagiert werden. Teil der Digitalisierungsstrategie ist die ortsunabhängige Verfügbarkeit aller Daten in der Cloud als auch die Sammlung und Auswertung aller relevanten Daten. Durch die Big Data-Analyse lassen sich Prozesse optimieren und Nachfrageprognosen erstellen, zudem lassen sich Automatisierungsprozesse einrichten, die den Ablauf effizienter machen.
2. Multi-Sourcing: Viele Mittelständler setzen bei der Beschaffung von Materialien und Produkten auf nur einen Lieferanten. Dieses Single-Sourcing kann im schlimmsten Fall die Existenz des Unternehmens bedrohen. So waren zahlreiche KMU von Lieferungen aus Indien, China und Taiwan abgeschnitten, nachdem es dort zu Corona-Lockdowns kam. Es ist für Unternehmer zwar einfacher, sich auf einen Lieferanten zu verlassen, da dadurch Kosten und administrativer Aufwand vergleichsweise gering bleiben. Die Pandemie hat jedoch gezeigt: Mittelständler, die alles auf eine Karte setzen, haben das Nachsehen. Wichtig ist es daher, immer einen zuverlässigen Zweitlieferanten in der „Hinterhand“ zu haben, um Lieferengpässe aus bestimmten Ländern oder Regionen zu umgehen.
KMU, die weiter auf Single-Sourcing setzen, sollten sich daher fragen, ob sich die Kostenoptimierung in diesem Bereich der Lieferkette zulasten eines steigenden Risikoprofils zukünftig noch lohnt. Zudem sollten KMU vermehrt nach lokalen Anbietern Ausschau halten. Natürlich lassen sich nicht alle Rohstoffe und Produkte auf dem deutschen Markt finden. Doch wo es möglich ist, lohnt es sich, kritische Teile der Lieferkette auf regionale Anbieter auszulagern, um sich unabhängiger vom internationalen Warenverkehr zu machen.
3. Mittelständler sollten zudem über den Tellerrand schauen: So hat sich für einige Unternehmen in der Krise der 3D-Drucker als lohnenswertes Investment herausgestellt. Mit dem Drucker lassen sich Lücken in der Lieferkette überbrücken, etwa wenn es um die Anfertigung von Musterexemplaren oder Prototypen geht. Ebenso konnten Unternehmen kurzfristig dringend benötigte Ersatzteile im 3D-Drucker anfertigen und mussten nicht auf eine Lieferung aus Fernost warten.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass der internationale Warenhandel auf wackligen Beinen steht und innerhalb kurzer Zeit unter der immensen Last an Terminlieferungen zusammenbrechen kann. Mittelständler sollten daher auf eine digitale Integration ihrer Supply Chain setzen. Zudem lohnen sich dezentrale Lösungen und Lieferketten mit mehreren – bestenfalls auch lokalen – Lieferanten.
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