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Mit Inklusion gegen Fachkräftemangel

von Holger Clemens Hinz

Viele Unternehmen leiden schon heute unter Fachkräftemangel, gleichzeitig werden die Menschen immer älter und es kommen zu wenig Arbeitskräfte nach. Ein ungewöhnliches Mittel dagegen wird bei nachhaltig arbeitenden Unternehmen immer beliebter: die inklusive Beschäftigung von Schwerbehinderten.

Deutschland gehen die Fachkräfte aus. Das klingt erstmal dramatischer, als es ist – noch bricht kein Unternehmen aus Mangel an qualifizierten Angestellten zusammen. Doch die Nachfrage übersteigt das Angebot bereits jetzt um ein Vielfaches, und eine weitere negative Entwicklung ist kaum noch aufzuhalten. Es braucht mehr Auszubildende, mehr Fortbildungen, und eine Karriere als Facharbeiter muss schon für Schüler attraktiver werden. Die Effekte davon wären aber erst in vielen Jahren zu erwarten und würden das Problem trotzdem nicht lösen. Denn die Demografiekurve zeigt unaufhaltsam nach unten, es kommen immer weniger junge Menschen nach.

Dem Fachkräftemangel begegnen – mit Inklusion

Immer mehr Unternehmer denken daher darüber nach, stärker auf die Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu setzen. Die Arbeitslosenquote von schwerbehinderten Menschen ist nach wie vor deutlich höher als die von nicht-behinderten, zusätzlich profitieren sie weniger von der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Der Erstkontakt ist natürlich nicht leicht: Behinderte sind zwar selbst oft gut vernetzt, auch entsprechende Vereine, Wohneinrichtungen usw. stehen häufig gar bundesweit in engem Kontakt – doch es fehlt oft die Verbindung in die Wirtschaft.

Hier liegt der Nachholbedarf allerdings bei den Unternehmen: Vielerorts haben Jahrzehnte des Desinteresses und der Lippenbekenntnisse, dass Inklusion zwar wichtig sei, man aber nicht dafür zahlen könne, Spuren hinterlassen. Doch es lohnt sich, hier etwas Vorschussaufwand zu betreiben. Arbeitgeber, die sich in der Inklusion engagieren und darüber größere Teile ihres Personalbedarfs decken, berichten immer wieder davon, dass sie schon bald Initiativbewerbungen erhalten. Auch in Berufen, bei denen eigentlich ein großer Mangel herrscht. Ein barrierefreier Arbeitsplatz, an dem auch besondere Bedürfnisse kein Problem darstellen, kann hier den entscheidenden Unterschied machen.

Verabschieden sollten Unternehmer sich aber schleunigst von der Idee, dass sie aus Mangel nun „minderwertige Arbeitskraft“ einkaufen müssten. Neben der offensichtlichen moralischen Verwerflichkeit ist es auch einfach die Realität, die ein solches Denken bestraft. Denn die Beschäftigung behinderter Menschen bietet viele Vorteile. Dafür kann es sich auch aus einer rein unternehmerischen Sicht lohnen, die nicht immer unerheblichen Kosten auf sich zu nehmen, die eine Umrüstung des Arbeitsplatzes bedeuten kann.

Die Vorteile der Inklusion am Arbeitsplatz

Denn schon die Umstellung des Unternehmens oder einer seiner Abteilungen auf die neuen Mitarbeiter selbst kann sich deutlich positiv auf die Unternehmenskultur auswirken. Sie bricht alte Verhaltensmuster auf und erfordert eine Umstellung auf eine offene, vorurteilsfreie Fehlerkultur. Bei Menschen mit körperlichen Einschränkungen ist es leichter zu erkennen, dass sie in mancherlei Hinsicht nicht „perfekt funktionieren“ können. Arbeitsabläufe werden angepasst, Aufteilungen mit dem Ziel geändert, dass der Mitarbeiter sein Potenzial voll ausschöpfen kann. Das freut den Arbeitgeber, den Mitarbeiter und später auch die Kollegen. Denn ein solches positives Beispiel kann dabei helfen, eigene Schwächen zu erkennen – und konstruktiv mit ihnen umzugehen. So können auch die Abläufe für nicht-behinderte Mitarbeiter verbessert werden.

Gleichzeitig wird hier aktiv Selbständigkeit gefördert. Denn dieser Prozess kann nicht komplett von einer Führungskraft vorgegeben werden. Ist die körperliche Belastung wegen eines Bandscheibenvorfalls vielleicht doch etwas zu hoch? Dann kann ein Kollege einspringen. Dafür wird diesem dann vielleicht eine Verwaltungstätigkeit abgenommen, die er noch nie mochte. Dadurch kommt es zu einer weiteren Normalisierung: Der „behinderte“ Angestellte nimmt dem „gesunden“ eine Tätigkeit ab, die er nicht gut beherrscht. Ein Tausch auf Augenhöhe. So gewinnen alle und lernen gleichzeitig, wie aktiv gelebte Solidarität zum besten Nutzen für alle führen kann. Dazu gibt es ein soziales Arbeitsumfeld, aus dem man Wertschätzung erfährt. Das kann jeder gut gebrauchen.

Für Fachkräfte, die ihre ursprüngliche Tätigkeit aufgrund ihrer Einschränkungen gar nicht mehr oder nur noch sehr begrenzt ausführen können, kann dies auch eine Komplettumstellung bedeuten. Häufig ist ein ehemaliger Facharbeiter, der den Beruf selbst Jahre oder Jahrzehnte ausgeübt hat, mit einer entsprechenden Umschulung ein ausgezeichneter Verwaltungsangestellter, der viel näher an den Kollegen dran ist, als es eine Nachwuchskraft frisch aus der Ausbildung sein könnte.

Zu guter Letzt ist da auch noch die Außenwirkung. Sich bei geringstem Engagement schon eine große Weltretter-Plakette zu verleihen, fliegt schnell als Heuchelei auf. Doch wer konsequent und nachhaltig behinderte Menschen in den eigenen Betrieb integriert, gewinnt auch in der Öffentlichkeit Sympathien. Eine solche positive Unternehmenskultur zieht auch nicht-behinderte Fachkräfte an.

Schwierigkeiten gibt es auch

Die größte Schwierigkeit bei der Inklusion von behinderten Fachkräften ist wohl die Auswahl der ersten Kandidaten. Doch es gibt bundesweit Interessenvertretungen, Verbände und andere Organisationen für und von behinderten Menschen, auch die Gewerkschaften sind dabei oft  recht engagiert. Aufgeschlossene Unternehmer sollten einfach einen ersten Kontakt herstellen und sich beraten lassen, wie die Suche funktionieren könnte. Sie werden auf offene Ohren stoßen.

Dann folgt natürlich ein Auswahlprozess: Menschen mit geistigen Behinderungen werden leider oft ausgeklammert – sie sind für viele Tätigkeiten, gerade in der Produktion, nicht geeignet. Hier geht es auch um den Schutz der Menschen selbst. Viele Maschinen können Menschen schwer verletzen. Auch darüber sollte mit entsprechenden Anlaufstellen gesprochen werden – sie kennen die Menschen, die sie betreuen, meist sehr gut und wissen, wofür sie in Frage kommen und wofür nicht.

Zudem kann auch darüber nachgedacht werden, Ausbildungsplätze für Facharbeiter mit körperlichen Einschränkungen anzubieten. Das sollte möglichst gemeinsam mit anderen Unternehmen geschehen – die Hürden können teils recht hoch sein. Da lohnt es sich, den Aufwand nur einmal betreiben zu müssen und von einem gemeinsamen Wissensschatz zu zehren.

 

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