Mittelständische Unternehmen mit Liquiditätsbedarf setzen derzeit vor allem auf das altbewährte – und aktuell staatlich garantierte – Bankdarlehen. Doch über kurz oder lang wird der Schritt aufs Börsenparkett für viele Unternehmen immer mehr zur attraktiven Finanzierungsalternative.
Die Folgen der Corona-Krise sind noch immer nicht absehbar. Unumstritten ist jedoch, dass die Krise den Mittelstand mit voller Wucht getroffen hat – und zwar so sehr, dass Deutschland in eine schwere Rezession schlittern wird beziehungsweise sich inmitten einer solchen befindet.
Begehrte Bankkredite, der staatlichen Garantie sei Dank
Um noch Schlimmeres zu verhindern, hat die Bundesregierung schon zu Beginn des Ausbruchs zahlreiche Stützungsmaßnahmen und Hilfspakete auf den Weg gebracht. Dazu zählen auch bis zu 100 Prozent staatlich garantierte KfW-Kredite. Kein Wunder also, dass KMU mit Liquiditätsbedarf derzeit zunächst einmal ihre Hausbank aufsuchen. Dort müssen die KfW-Kredite nicht nur beantragt werden, von der Hausbank wird der Antrag auch geprüft.
Was die Finanzierung von für die deutsche Wirtschaft systemrelevante Unternehmen angeht, sind aktuell sogar direkte Beteiligungen durch den Staat in Vorbereitung. Prominentestes Beispiel dafür dürfte der staatliche Einstieg bei der Lufthansa sein.
Mittelständische Unternehmen, die hingegen mit dem Gedanken eines IPOs (Initial Public Offering) spielten, haben diesen zunächst wohl erst einmal nach hinten geschoben. Zu ungewiss ist die weitere konjunkturelle Entwicklung und daher auch zu nervös das Gros der Investoren. Dies zeigt vor allem die enorme Volatilität an den Aktienmärkten, die derzeit ein selten dagewesenes Niveau aufweist. Der Datenbank-Spezialist Exasol, der jüngst den Schritt aufs Börsenparkett wagte, hat sich davon hingegen nicht abschrecken lassen.
Mittelstand und IPO: Immer noch attraktive und sinnvolle Finanzierungsalternative
Trotz des herausfordernden Umfelds sollten mittelständische Unternehmen die Börse nun nicht komplett aus den Augen verlieren, bringt ein Börsengang für Mittelständler doch zahlreiche Vorteile: So sind börsennotierte Unternehmen unter anderem unabhängiger, da keine mächtigen Gesellschafter beim operativen Geschäft reinreden. Zudem steigert der Schritt auf das Börsenparkett in der Regel die Bewertung des Unternehmens und sorgt für positive Publicity. Hinzu kommt, dass Banken aufgrund der nicht mehr aufzuhaltenden Rezession und angesichts der geplanten Basel-Reformen künftig noch genauer hinschauen werden, welchem Unternehmen sie überhaupt noch ein Darlehen gewähren werden.
Dass auch mittelständische Unternehmen an der Börse bestens aufgehoben sind, zeigt unter anderem die überaus erfreuliche Kursentwicklung vieler Nebenwerte – und zwar nicht nur auf kurze, sondern auch auf lange Sicht.
SDAX und MDAX stechen den großen DAX-Bruder aus
So kommt der SDAX (Small-Cap-DAX) in den vergangenen zwölf Monaten (Stand: 08. Juni 2020) auf ein Plus von rund 11 Prozent, während der Nebenwerte-Index auf Drei-Jahressicht um etwa 8 Prozent stieg und auf Fünf-Jahressicht um gut 40 Prozent an Wert zulegte. Ähnlich präsentiert sich der MDAX (Mid-Cap-DAX) in den genannten Zeiträumen. Deutlich schlechter schneidet hingegen der DAX ab. Zwar entwickelte sich der deutsche Leitindex in den vergangenen zwölf Monaten ähnlich wie die beiden Nebenwerte-Indizes, auf längere Sicht hat der DAX aber das Nachsehen. So bewegte er sich auf Drei-Jahressicht unterm Strich kaum vom Fleck – und auch auf Fünf-Jahressicht liegt der DAX mit einem Plus von etwa 16 Prozent deutlich hinter den beiden Nebenwerten.
Kleine Werte ganz groß
Dies zeigt, dass Investoren auch kleine und mittlere Unternehmen an der Börse zu schätzen wissen – und zwar aus guten Gründen. Zum einen umfasst etwa der MDAX einen bunten Strauß wachstumsstarker Unternehmen, die lukrative Nischen besetzen und häufig höhere Gewinnmargen erzielen als die Dickschiffe aus dem DAX. Zudem sind bei S- und MDAX-Unternehmen in der Regel die Hierarchien flacher und die Entscheidungswege kürzer. Davon profitieren nicht nur die Firmen, sondern auch deren Aktionäre. Schließlich kann das Management so schneller auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren.
Langfristig bezahlt macht sich auch die Tatsache, dass bei einigen Unternehmen der zweiten Reihe die Gründerfamilien einen wichtigen Posten im Vorstand oder Aufsichtsrat besetzen. Grund: Statt kurzfristiger Gewinne verfolgen familiengeführte Gesellschaften in erster Linie längerfristige Ziele, Geschäftsmodelle werden also nicht so schnell über Bord geworfen.
Trotz vieler Vorteile: Nur wenige Mittelständler setzen auf ein IPO
Zwar bietet die Börse für Mittelständler und deren Aktionäre viele Vorteile, doch sollte der Börsenstart nicht unüberlegt erfolgen. Denn ein IPO ist auch für Mittelständler kein Selbstläufer. So haben Unternehmen, die an der Börse notiert sind, höhere Anforderungen in den Bereichen Transparenz und Finanzkommunikation zu erfüllen. Nicht zu unterschätzen ist auch der administrative Aufwand – allen voran in der Planungsphase eines Börsengangs. Und selbstverständlich verursacht ein IPO auch Kosten, inklusive weiterer für Aufsichtsrat und für die an der Börse geforderten Transparenz- und Meldepflichten.
Listing als erster Schritt des Börsengangs
Aufgrund der aktuellen Corona-Krise und allen damit einhergehenden, negativen Folgen ist ein IPO derzeit aber schwer erfolgreich umzusetzen. Aber: Als erster Schritt bietet sich auch im aktuellen Umfeld ein Listing – eine Art „IPO-Light – an, bei der zunächst einmal eine Notierungsaufnahme erfolgt. Damit kann nicht nur der Bekanntheitsgrad gesteigert, sondern auch schon mal die Tür für ein künftig angedachtes IPO geöffnet werden.
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