Die Entwicklung neuer Technologien hat auch die Entstehung innovativer Geschäftsmodelle maßgeblich beschleunigt. Noch vor zehn Jahren dachten nur die wenigsten Vorstände oder Geschäftsführungsmitglieder über das Thema „Geschäftsmodell“ nach. Umsätze und Erträge wurden seit jeher auf dem mehr oder weniger gleichen Weg erzielt. Die Produkte wurden innovativer, zusätzliche Leistungen entstanden, Vertriebswege wurden ergänzt, neue Märkte in Angriff genommen – aber in der Regel mit immer dem selben Geschäftsmodell als Grundlage. In vielen Bereichen ist dies auch heute noch so.
Von Michael Müller
In immer schnellerer Abfolge lassen sich derzeit veränderte oder sogar gänzlich neue Geschäftsmodelle in nahezu allen Branchen beobachten. Oftmals sind es junge, innovative Start-ups, die nicht nur mit neuen Angeboten, sondern auch mit neuen Methoden, anhand derer Umsätze und Erträge generiert werden, in die bestehenden Märkte drängen und diese so umformen, dass sie völlig neu entstehen, und mit denen die traditionellen Anbieter dann konfrontiert sind. Mit „Fintechs“, ,,lnsuretechs“ oder „Legaltechs“ sind ganze Gruppen von jungen Technologieunternehmen entstanden, die einzelne Branchen mittlerweile massiv unter Druck setzen: Was im Handel begann, setzt sich nun mit höherer Spezialisierung in Bereichen wie der Finanzindustrie, den Versicherungen oder der Rechtsberatung fort. Ohne ein allzu großes Risiko einzugehen, eine Fehlprognose abzugeben, lässt sich eine solche Entwicklung auch für andere Branchen vorhersagen. Ansätze hierzu sind bereits in vielfältiger Weise erkennbar.
Neue, innovative, vor allem datenbasierte Geschäftsmodelle werden (insbesondere durch Erweiterungen zu Plattformen und digitalen Ökosystemen) in allen fast allen Branchen zu nachhaltigen Veränderungen führen. DAS RENNEN UM DIE ZUKUNFT HAT BEGONNEN!
Die Renaissance der strategischen Planung
In einer Situation, in der sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unablässig rasant verändern, klingt es beinahe paradox, von einer Renaissance der strategischen Planung auszugehen. Und doch ist es gerade die strategische Planung, die einen Ausweg aus dieser Situation zu weisen, in der Lage ist. Die Forderung nach einer deutlichen Einschränkung der strategischen Planung mit dem Hinweis auf eine faktische Unplanbarkeit durch permanente Veränderungen hätte zur Folge, Unternehmen nur noch „auf Sicht zu fahren“, kurzfristig zu reagieren und die Unternehmen von einer aktiven in eine rein reaktive, abwartende Rolle zu drängen.
Nicht nur, aber gerade in Zeiten rapider Veränderungen empfiehlt es sich jedoch, selbst eine aktive Rolle in der „Neuerfindung“ einer Branche einzunehmen und einschneidende Veränderungen selbst zu initiieren. Hierzu bedarf es in jedem Fall einer klaren Vorstellung von künftigen Branchenstrukturen, Produkt- bzw. Serviceangeboten und nicht zuletzt von den künftigen Geschäftsmodellen. Dadurch wird der Wettbewerb zur Reaktion gezwungen: Wird ein Unternehmen selbst zum Disruptor, gibt es sowohl Richtung als auch Geschwindigkeit der Veränderungen vor, nach denen sich die Wettbewerber dann richten müssen.
Ein entsprechendes Vorgehen ist in der Regel zwar nicht risikofrei. Eine rein reaktive Strategie erscheint im Vergleich dazu jedoch mit noch höheren Risiken behaftet. Eine solche wäre dann zu erwägen, wenn die weltweit zu verzeichnenden wirtschaftlichen und technologischen Veränderungen temporärer Natur wären. Dass es sich dabei nur um eine Phase handelt, scheint aber ausgeschlossen zu sein. Im Gegenteil: Die Unsicherheiten und die Veränderungsgeschwindigkeit nehmen weiter zu – und damit auch die Risiken. Eine proaktive disruptive Strategie dürfte daher ohne Alternative sein, wobei dies immer auch den Erhalt von Flexibilität beinhaltet. Der strategischen Planung kommt daher im veränderten Umfeld nicht nur eine neue Bedeutung zu, da auch Disruptionen sorgfältig geplant und umgesetzt werden müssen, sondern wird wieder zur zentralen Aufgabe des obersten Managements werden.
Disruption wird der Normalzustand
Neue, bisher unbekannte Wettbewerber entstehen, die mit neuen, disruptiven Angeboten und Geschäftsmodellen Kunden gewinnen und die traditionellen Anbieter zunehmend unter Druck setzen. Dabei kommen unterschiedliche Disruptionsansätze zur Anwendung, die durch technologische Entwicklungen ermöglicht werden. Grundsätzlich können dabei acht verschiedene Disruptionsansätze unterschieden werden, wobei Unternehmen mit erfolgreichen disruptiven Angeboten in der Regel zwei oder mehr Ansätze miteinander kombinieren. Erst im Zusammenspiel können die sich dahinter verbergenden Technologien und Strategien ihre umwälzende Veränderungskraft voll entfalten.
- Neue, bisher nicht verfügbare Produkte und/oder Services (wie z.B. Soziale Netzwerke)
- Deutlich verbesserte oder vereinfachte Produkte und/oder Services (wie z.B. Smartphone-Banken, Zahlsysteme o.ä.)
- Unbundling, d.h. das Aufschnüren von bisher nur im „Paket“ erhältlichen Produkten und deren Einzelvertrieb
- Plattformen, die Angebote oder Nachfrage weltweit bündeln (wie z.B. Reiseportale)
- Flatrates oder Micropricing, d.h. die Zurverfügungstellung von großen Angeboten gegen eine regelmäßige Zahlung (wie z.B. bei Streamingdiensten) oder der Verkauf einzelner Produkte für minimale Preise (z.B. Einzelverkauf von Zeitungsartikel im Vergleich zum Verkauf der gesamten Zeitung)
- Collocate, d.h. die Zusammenfassung vormals nur einzeln verfügbarer Leistungen zu neuen, multifunktionalen Angeboten (wie z.B. dem Smartphone) oder die Neuzusammenstellung bisheriger Angebote mit verbessertem Nutzenpotenzial
- Ökosysteme, also Systeme (auch unterschiedlicher Hersteller), die aufeinander aufbauen, sich ergänzen und den gegenseitigen Wert erhöhen (wie z.B. Spielekonsolen mit Spielen unterschiedlicher Anbieter, Appstores u.ä.)
- Webbasierung, d.h. Zugriff und Steuerung online über Smartphone oder Tablet bis hin zu ausschließlich digitaler Lieferung (wie z.B. ebooks, Film- oder Musikstreaming etc.)
Viele dieser disruptiven Angebote finden sich heute überall in der Alltagsumgebung und werden kaum mehr als solche wahrgenommen. Die Entwicklung steht nichtsdestotrotz erst am Anfang: Disruption wird zur Normalität. Die übergeordnete Gemeinsamkeit aller Disruptionsansätze ist dabei, den Kunden und den Nutzen, den er von einem Produkt oder einer Serviceleistung hat, radikal in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Weiterführende Informationen dazu finden Sie hier.
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Michael Müller | Autor
Michael Müller ist Geschäftsführer der Unternehmensberatung SMS Strategic Management Solutions. Er ist auf die Beratung bei ausgewählten Problemen der Strategischen Unternehmensführung (Wertsteigerungs-Management, M&A-Transaktionen, Digitale Geschäftsmodelle) sowie auf die Corporate Finance-Beratung (Equity-Markets) spezialisiert.