Immer weniger Arbeitnehmer stehen in Deutschland unter Tarifvertrag. Vor allem kleinere Betriebe wollen ihre Autonomie nicht abgeben. Das hat seine Gründe. Doch der Mittelstand sollte auch die Vorteile des Tarifvertrags im Blick haben.
Tarifverträge galten in der Vergangenheit als Errungenschaft des Sozialstaats. Die Idee: Der Vertrag soll die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern und Arbeitgeber regeln und so in der jeweiligen Branche Standards in Bereichen des Lohns, der Wochenarbeitszeit und der Urlaubsdauer setzen. Seit Jahren nehmen die Abschlüsse von solchen Verträgen jedoch ab, gerade KMU setzen kaum auf Tarifverträge. Denn die Tarifbindung ist für viele Mittelständler auf den ersten Blick nicht sehr attraktiv. Gerade für kleinere Unternehmen gibt es jedoch auch Vorteile.
Wann der Tarifvertrag gilt
Ein Tarifvertrag wird zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden geschlossen. Er gilt also dann nur für Arbeitnehmer, die Mitglied einer Gewerkschaft sind. Alle anderen Arbeitnehmer sind nicht tarifgebunden – hier entscheidet der Arbeitgeber, ob er den Vertrag anwenden will. Zudem ist Tarifvertrag nicht gleich Tarifvertrag. Ein Flächentarifvertrag gilt für ein bestimmtes Arbeitsgebiet, Branchenverträge verhandeln die Arbeitsbedingungen für eine ganze Branche oder einen Wirtschaftszweig aus. Firmen- oder Haustarifverträge gelten hingegen nur für die Arbeiter eines spezifischen Unternehmens, für die die Konditionen mit der Gewerkschaft ausgehandelt wurden.
2019 waren laut Statistischem Bundesamt 44 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland in Unternehmen mit einem Branchentarifvertrag beschäftigt. Acht Prozent arbeiteten hingegen unter einem Firmentarifvertrag. Im Umkehrschluss heißt das, dass es für 48 Prozent der Arbeitnehmer keine solche Verträge gab. Grundsätzlich ist die Tarifbindung rückläufig: 1998 standen noch 76 Prozent der Beschäftigten unter Tarifvertrag. Ob solche Tarife Anwendung finden, hat vor allem etwas mit der Größe des Unternehmens zu tun. Hier kommt der Mittelstand ins Spiel: Die Anzahl der tarifgebundenen Arbeitnehmer steigt mit der Größe des Unternehmens. Dass wenige kleine KMU einen Tarifvertrag umsetzen wollen, hat jedoch einen Grund.
Tarifbindung kann höhere Arbeitskosten erzeugen
Vor allem größere Konzerne setzen die Tarifbindung zu 100 Prozent durch. Dabei handelt es sich häufig um große Betriebe aus kapitalstarken Branchen. Solche Unternehmen verzeichnen langfristig kräftiges Wachstum, sind technologisch fortgeschritten und verfügen über eine hohe Liquidität.
Viele KMU können es sich jedoch nicht leisten, die Löhne ihrer Belegschaft auf die Ebene der Tariflöhne zu heben, die Branchen-Größen zahlen. Die Tarifbindungspflicht würde bei vielen KMU zu höheren Arbeitskosten führen, was den Wettbewerbsvorteil vieler Mittelständler gefährden würde. Statt einem Branchentarifvertrag könnte es sich für größerer Mittelständler jedoch lohnen, einen Firmentarifvertrag einzuführen, der einheitliche Konditionen für alle Beschäftigten etabliert.
Tarifvertrag bietet KMU auch Vorteile
Trotz Einschränkung bei der Tarifautonomie bieten Tarifverträge Mittelständlern auch klare Vorteile. Die garantierte Laufzeit des Tarifvertrags gibt Unternehmen mehr Planungssicherheit im Hinblick auf Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen für die Belegschaft. Das sorgt meist auch für ein besseres Betriebsklima und mehr Motivation bei den Mitarbeitern. Gleichzeitig kann eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband die Attraktivität des Unternehmens für Fachkräfte und Auszubildende steigern, da Tarifverträge häufig die Übernahmebedingungen durch den Arbeitgeber garantieren.
Zwar können sich die Lohnkosten für Unternehmer erhöhen, allerdings werden durch die Verträge auch Branchenstandards gesetzt, die zu einer Angleichung der Vergütung führen und so Lohndumping verhindern. Zuletzt verpflichtet die Friedensfunktion im Vertrag die Tarifparteien dazu, Maßnahmen wie Streiks zu unterlassen. Das entlastet auch kleinere Betriebe: Konflikte werden dann nicht unternehmensintern geführt, sondern in den jeweiligen übergeordneten Verbänden.
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