Home Finanzierung Vereinfachte Eigenkapitalaufnahme in Zeiten der COVID-19-Pandemie: Der neue EU-Wiederaufbauprospekt

Vereinfachte Eigenkapitalaufnahme in Zeiten der COVID-19-Pandemie: Der neue EU-Wiederaufbauprospekt

von Holger Clemens Hinz

Die EU-Mitgliedstaaten haben massiv mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der COVID-19-Pandemie zu kämpfen. Neben dem Ergreifen medizinischer Maßnahmen bemüht sich die Europäische Kommission insbesondere darum, die Liquidität des EU-Finanzsektors zu gewährleisten und einer drohenden Rezession entgegenzuwirken. Als Teil des „Pakets für die Erholung der Kapitalmärkte“ steht die Einführung des sog. EU-Wiederaufbauprospekts (EU Recovery Prospectus) unmittelbar bevor und kann voraussichtlich ab Ende März als neues Prospektformat von Emittenten genutzt werden.

Von Dr. Susanne Lenz

Der EU-Wiederaufbauprospekt

Ziel der Maßnahme ist es, börsennotierte Unternehmen durch den Abbau regulatorischer Hürden dabei zu unterstützen, vereinfacht (kostengünstig und ressourcenschonend) Eigenkapital zu beschaffen und dadurch einen tragfähigen Verschuldensgrad zu erreichen. Geschaffen wurde vom Unionsgesetzgeber eine neue Art von Kurzprospekt, der für Unternehmen leicht zu erstellen, für Anleger leicht zu verstehen und für die zuständige Billigungsbehörde (in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)) leicht zu überprüfen und zu billigen sein soll.

Der EU-Wiederaufbauprospekt steht ausschließlich für das öffentliche Angebot bzw. die Zulassung zum geregelten Markt von Aktien bereits börsennotierter Emittenten zur Verfügung. Damit ist zugleich klargestellt, dass der neue Kurzprospekt lediglich auf Sekundäremissionen (nicht aber auf den Börsengang) und nur auf die Aufnahme von Eigenkapital (nicht aber von Fremdkapital, etwa Schuldverschreibungen) Anwendung findet.

Das Format des EU-Wiederaufbauprospekts kann genutzt werden von

(i) Emittenten, deren Aktien mindestens während der letzten 18 Monate ununterbrochen zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen waren, und die Aktien emittieren, die mit den vorhandenen zuvor begebenen Aktien fungibel sind (damit scheidet eine Emission von Aktien einer neuen Aktiengattung aus),

(ii) Emittenten, deren Aktien mindestens während der letzten 18 Monate ununterbrochen auf einem KMU-Wachstumsmarkt gehandelt wurden, vorausgesetzt, dass ein Prospekt für das Angebot dieser Aktien veröffentlicht wurde, und die Aktien emittieren, die mit den vorhandenen zuvor begebenen Aktien fungibel sind, sowie

(iii) Anbietern von Aktien, die mindestens während der letzten 18 Monate ununterbrochen zum Handel an einem geregelten Markt oder an einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen waren.

Darüber hinaus dürfen Emittenten lediglich dann das Format des EU-Wachstumsprospekt nutzen, wenn die Anzahl der Aktien, die auf Basis des EU-Wachstumsprospekt angeboten werden sollen, zusammen mit der Anzahl der Aktien, die bereits auf Basis eines EU-Wachstumsprospekt über den Zeitraum von 12 Monaten angeboten wurden, weniger als 150% der Anzahl der Aktien beträgt, die bereits zum Handel an einem geregelten Markt bzw. einem KMU-Wachstumsmarkt zum Zeitpunkt der Billigung des EU-Wachstumsprospekt zugelassen sind.

In den vorstehenden Nutzerkreis des EU-Wachstumsprospekts sind damit auch Emittenten einbezogen, deren Aktien im Scale-Segment des Freiverkehrs der Frankfurter Wertpapierbörse gehandelt werden. Das Scale-Segment ist allerdings erst seit dem 16.12.2019 als KMU-Wachstumsmarkt registriert und bislang der einzige KMU-Wachstumsmarkt in Deutschland. Offen bleibt daher, ob es im Sinne der 18-Monats-Frist ausreicht, wenn die Aktien eines Emittenten ununterbrochen seit 18 Monate im Scale-Segment gehandelt werden, ohne dass das Scale-Segment selbst bereits 18 Monate als KMU-Wachstumsmarkt registriert ist, oder ob die Möglichkeit der Nutzung des EU-Wiederaufbauprospekts für derartige Emittenten erst mit Ablauf des 16.6.2021 in Frage kommt.

Form, Inhalt und Billigung des EU-Wiederaufbauprospekts

Der EU-Wiederaufbauprospekt ist als einheitliches Dokument zu erstellen und soll einen Umfang von 30 DIN-A4-Seiten in gut lesbarer Schriftgröße nicht überschreiten. Die Zusammenfassung, die ihrerseits nicht mehr als zwei DIN-A4-Seiten umfassen darf, ist im genannten Umfang von 30 Seiten bereits enthalten. Der EU-Wiederaufbauprospekt konzentriert sich auf die wesentlichen Informationen in gut verständlicher Form. Er muss in Zusammenschau mit den bereits öffentlich zugänglichen Informationen den Anlegern ermöglichen, eine fundierte Anlageentscheidung zu treffen. Daher hat der Prospekt die Anleger zu informieren über die Aussichten und die finanzielle Entwicklung des Emittenten und die bedeutenden Änderungen der Finanz- und Geschäftslage des Emittenten, die seit Ablauf des letzten Geschäftsjahres eingetreten sind, sowie die langfristige Geschäftsstrategie und die langfristigen – finanziellen und nichtfinanziellen – Ziele des Emittenten. Der Emittent muss gegebenenfalls eine mindestens 400 Worte umfassende spezifische Darstellung zu den finanziellen und geschäftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Emittenten sowie eine Erklärung zu den voraussichtlichen künftigen Auswirkungen der Pandemie anfügen. Der Prospekt hat die wesentlichen Informationen über die Aktien, die mit den Wertpapieren verbundenen Rechte, einschließlich etwaiger Beschränkungen dieser Rechte, die Gründe für die Emission und ihre Auswirkungen auf die Kapitalstruktur des Emittenten insgesamt, die Offenlegung der Kapitalausstattung und Verschuldung, eine Erklärung zum Geschäftskapital sowie die Verwendung der Erlöse zu enthalten.

Billigung

Abweichend von der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen für Wertpapierprospekte nach der EU-Prospektverordnung soll die Prüfungsfrist der zuständigen Behörde (in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – kurz „BaFin“) für einen EU-Wiederaufbauprospekt lediglich sieben Arbeitstage betragen. Der Emittent hat die zuständige Behörde mindestens fünf Arbeitstage vor dem Antrag auf Billigung des EU-Wiederaufbauprospekts über die Antragstellung zu unterrichten.

Die verkürzte Prüfungsfrist ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Die konkrete Dauer des Prüfungsverfahrens wird jedoch vornehmlich von der Verfahrenspraxis und insbesondere der Auslastung der BaFin im Einzelfall abhängen. Es empfiehlt sich, rechtzeitig das Gespräch mit der BaFin zwecks Vorabstimmung zu suchen.

Geltungsumfang des EU-Wiederaufbauprospekts

Der EU-Wiederaufbauprospekt ist nach dem Willen des Unionsgesetzgebers grundsätzlich auf die Phase der wirtschaftlichen Erholung beschränkt. Die neu geschaffene Prospekt-Regelung soll daher bereits am 31.12.2022 auslaufen. Für die vor Auslaufen der Regelung gebilligten EU-Wiederaufbauprospekte gilt zur Sicherstellung der gebotenen Kontinuität eine Bestandsschutzklausel.

Fazit

Der EU-Wiederaufbauprospekt steht Emittenten, die in den Anwendungsbereich des verkürzten Prospektregimes fallen, fortan für eine schnelle und ressourcenschonende Eigenkapitalaufnahme zur Verfügung. Die hohe regulatorische Hürde der Prospekterstellung verbunden mit einem aufwändigen Billigungsverfahren und hohen Transaktionskosten wird durch das Format des Kurzprospekts deutlich gesenkt.

 


Dr. Susanne Lenz, LL.M. (Univ. of Pennsylvania), Frankfurt a.M. | Autorin

Dr. Susanne Lenz ist seit dem Jahr 2019 Partnerin der internationalen Wirtschaftskanzlei Pinsent Masons Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB in Frankfurt. Als in Deutschland und in New York qualifizierte Rechtsanwältin verfügt Susanne Lenz über weitreichende Erfahrung bei internationalen Kapitalmarkttransaktionen und berät Investmentbanken, international tätige Konzerne und andere Marktteilnehmer auf dem Gebiet des deutschen und U.S.-Kapitalmarktrechts und der Unternehmensfinanzierung, sowohl transaktionsbezogen als auch fortlaufend. Susanne Lenz berät insbesondere zu internationalen Kapitalmarkttransaktionen wie Börsengängen, Kapitalerhöhungen (Bezugsrechtsemissionen), Block Trades, Wandel- und Umtauschanleihen, Anleiheemissionen sowie High Yield Bonds. Darüber hinaus spricht Susanne Lenz auf verschiedenen Konferenzen, veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu kapitalmarktrechtlichen Themen, ist Co-Autorin eines Gesetzeskommentars und Lehrbeauftragte an der Universität Kassel für Kapitalmarktrecht.

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