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Zeit für Innovation

von Holger Clemens Hinz

Bei ohnehin nachlassender Konjunktur und zusätzlich Corona-Krise bedingten Einbrüchen ist jetzt der Zeitpunkt, die freien Ressourcen einzusetzen, um über Innovationen künftige Marktanteile zu sichern. In der Vergangenheit verpasste Chancen für neue Geschäftsmodelle sollten zur weiteren Expansion nun offensiv angegangen werden. Gerade der Mittelstand hat dazu gute Voraussetzungen. Eigentümer und Geschäftsführer können im Mittelstand schneller entscheiden, werden nicht vom Quartalsdenken börsennotierter Unternehmen getrieben und können deshalb eher Versuchsballons starten. Dabei spielt das Thema Digitalisierung mit Sicherheit eine maßgebliche Rolle. Voraussetzung sind Lernbereitschaft und Umsetzungswille der Geschäftsführung, auch zur Motivation der Mitarbeiter.  

Von Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer 

Der Mittelstand verfügt über eine Kundennähe, die Großunternehmen oft nicht mehr haben.  Diese Nähe muss als Wettbewerbsvorteil erkannt werden, denn neue Geschäftsmodelle und Produkte sind dann erfolgreich, wenn sie vom Kundennutzen her entwickelt werden. Über die Verbesserung der Kundenbindung durch Vertrieb, Marketing und Service sind die leichtesten Erfolge zu erzielen.

Innovativer und wendiger Mittelstand

Die Tatsache, dass sich der Mittelstand in der aktuellen Corona-Krise auch mit Blick auf digitale Angebote flexibel verhält, zeigt einmal mehr, wie wendig man in diesem Marktsegment ist. Mittelständler erfahren gerade jetzt, wie sie ihr bestehendes Geschäftsmodell erfolgreich erweitern können. Restaurants bieten plötzlich „Essen to go“ an und Videokonferenzen werden zum Standard. Die Aufnahme einer Internetpräsenz hilft ihnen, den Shutdown zu überstehen. Künftig kann diese Internetpräsenz dazu dienen, das bestehende Geschäftsmodell regional und durch zusätzliche Dienste auszuweiten.

Innovation ist immer mehr softwaregetrieben. Materielle Produkte enthalten immer mehr Software zur Verbesserung von Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit und bieten Chancen für zusätzliche digitale Dienstleistungen. Fernwartung und vorausschauende Wartung sind dazu Stichwörter.

Digitalisierung bietet Chancen zur Innovation

Durch Wartungseinnahmen kann so ein kontinuierlicher Erlösstrom erzielt werden. Grundsätzlich gilt, Digitalisierung ist kein Hexenwerk. Schulungen werden von vielen Institutionen angeboten. Programmiersprachen und Hilfsmittel zur Entwicklung eigener Software werden immer einfacher. Mit sogenannten low code-Werkzeugen können Softwarelösungen sogar von Mitarbeitern der Fachabteilungen (citizen developer) entwickelt werden.

Insgesamt bietet die Digitalisierung viele Chancen zur Innovation. Schließlich hat auch Robert Bosch als Mittelständler in einer Werkstatt angefangen und sich durch die offene Haltung gegenüber neuen Technologien zu einem der erfolgreichsten Großunternehmer entwickelt.

Kooperationen zwischen Start-up und Mittelstand: Win-Win-Situation

Viele mittelständische Unternehmen sind zögerlich, wenn es um Kooperationen geht. Diese aber können Wachstum und Innovation fördern. Manches Start-up Unternehmen sucht verzweifelt nach mittelständischen Partnern für die physische Herstellung von Produkten.  Das zeigt sich am Beispiel eines Start-up, das Software für den Maschinenbau erstellt, um so die Herstellung von Dreh- und Frästeile in kleinen Stückzahlen zu ermöglichen und diese online zu vertreiben. Die Fertigung der CNC-Teile ist nach langer Suche nach einem passenden Partner an ein mittelständisches Maschinenbauunternehmen ausgelagert worden. Letzteres profitiert nun zusätzlich von den so erschlossenen weltweiten Handelswegen via Onlineplattform des Start-up. 

Aber auch Kooperationen mit großen Partnern eröffnen neue Wege:  So brauchen z.B.  die großen internationalen Digitalunternehmen mittelständische Partner zur Implementierung, Auslieferung oder Wartung ihrer Produkte. Ohne Auto mit Fahrer kann Uber nicht befördern, ohne lokale Berater kann Software von Microsoft nicht implementiert werden – um nur einige zu nennen. Deshalb ist der Mittelstand gehalten, frühzeitig solche Chancen zu erkennen und lieber mit den großen Tigern zu „partnern“ als von ihnen gefressen zu werden.

Ich bin überzeugt davon, dass gerade in der derzeitigen Krisensituation im Mittelstand viele Kräfte freigesetzt werden, nicht nur, um Altes zu bewahren, sondern um über Innovation die Zukunft zu gestalten.

 

 

Über den Kapitalmarktblog:

Hier schreiben die Kapitalmarktexperten der Quirin Privatbank über die deutsche Wirtschaft und alles, was den heimischen Mittelstand bewegt. Das erfahrene Team der Quirin Privatbank hat die Entwicklungen rund um die Mittelstandsfinanzierung immer im Blick und zeigt auf, welche alternativen Finanzierungsformen für KMU interessant sind.


Prof. Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm Scheer | Autor

Scheer ist einer der prägendsten Wissenschaftler und Unternehmer der deutschen Informationstechnik. Die von ihm entwickelte ARIS-Methode zum Prozessmanagement wird in nahezu allen DAX-Unternehmen und auch international eingesetzt. Seine wissenschaftlichen Bücher zur Wirtschaftsinformatik sind Standardwerke und in mehrere Sprachen übersetzt. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt im Informations-, Innovations- und Geschäftsprozessmanagement.

Scheer ist Alleingesellschafter der Saarbrücker Scheer Holding GmbH, einem Unternehmensnetzwerk aus 10 Unternehmen mit über 1.500 Mitarbeitern, darunter die Scheer GmbH und imc AG. Alle Unternehmen entwickeln Standardsoftware und bieten IT-Beratung an. 2014 hat Scheer das gemeinnützige August-Wilhelm Scheer Institut für digitale Produkte und Prozesse gGmbH gegründet. Von 2007 bis 2011 war er Präsident des Branchenverbandes Bitkom e.V. Er ist unabhängiger Politikberater auf Bundes- und Landesebene.

 

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