Der demografische Wandel und der Ruf nach mehr Work-Life-Balance machen alternative Arbeitszeitmodelle zunehmend attraktiv. Mit Zeitwertkonten für die Lebensarbeitszeit können Unternehmen punkten.
Der Fachkräftemangel ist omnipräsent. Mehr als 42 Prozent der Unternehmen meldeten im April 2023 eine Behinderung ihrer Geschäftstätigkeit durch fehlende Fachkräfte. Besonders betroffen: Dienstleister und das verarbeitende Gewerbe. Beispielsweise sehen sich Anwaltskanzleien, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zu knapp drei Viertel durch fehlende Fachkräfte eingeschränkt. Das geht aus dem KfW-ifo-Fachkräftebarometer vom Juni 2023 hervor. Andere Untersuchungen zeichnen ein ähnliches Bild.
Vor diesem Hintergrund nimmt die Bedeutung von Mitarbeitergewinnung und -bindung weiter zu. Nicht zuletzt mit Blick auf die Generation Z, die inzwischen auf dem Arbeitsmarkt präsent ist und die mit althergebrachten Arbeitszeitmodellen und Lebensentwürfen fremdelt. Immer mehr Unternehmen stehen vor der Herausforderung, attraktive Arbeitsbedingungen anzubieten, um neue Fachkräfte zu gewinnen. Auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) müssen sich mit diesem Problem zunehmend auseinandersetzen. Dabei genügt es nicht, den neuen Mitarbeitern einfach ein höheres Gehalt anzubieten. Für die neue Generation der Berufseinsteiger ist etwas anderes viel wichtiger: ausreichend Freizeit, flexible Arbeitszeiten, mehr Lebenszeit ohne beständigen Arbeitsdruck. Kurz: Zeit ist die neue harte Währung im Buhlen um die fähigsten Köpfe. Eine mögliche Lösung: Die Einführung von sogenannten Zeitwertkonten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Lebensarbeitszeit statt Überstunden
Zeitwertkonten gibt es schon länger, wurden bislang aber eher spärlich von den Arbeitgebern eingesetzt. Gelegentlich sprechen Personaler auch von Lebensarbeitszeitkonten oder Langzeitarbeitskonten, Langzeitkonto oder Wertguthaben. Ihr Prinzip ist so einfach wie bestechend: Angestellte sparen Arbeitszeit an, um sich später ohne Gehaltseinbußen eine berufliche Auszeit zu nehmen, zum Beispiel für ein Sabbatical, die Elternzeit, für die Pflege Angehöriger, eine individuelle Weiterbildung oder auch für den vorzeitigen Ruhestand oder einen Wechsel in Teilzeitarbeit.
Die angesparte Arbeitszeit wird dabei gemessen am Gehalt in Euro umgerechnet, Wertguthaben genannt. Auf das Zeitwertkonto können somit nicht nur Überstunden oder Resturlaubstage eingezahlt werden, sondern auch Weihnachts- und Urlaubsgeld, Tantiemen, vermögenswirksame Leistungen, Arbeitgeberzuschüsse und auch Teile des Bruttolohns. Das Guthaben wird sicher und rentabel angelegt, ist im Fall einer Insolvenz des Arbeitgebers geschützt und kann auch im Falle eines Jobwechsels mitgenommen werden, sofern der neue Arbeitgeber sich mit der Fortschreibung des Kontos einverstanden erklärt. Am Ende entscheidet der Arbeitnehmer, ob er das Wertguthaben gegen freie Tage eintauscht oder sich auszahlen lässt.
Zeitwertkonten schaffen Freiheiten
Die Vorteile eines Lebensarbeitszeitkontos für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liegen auf der Hand: Eine bessere Work-Life-Balance dank flexibel nutzbarer Auszeiten bei fortlaufenden Gehaltsbezügen und nahtlosem Versicherungsschutz durch Krankenkasse, Pflege- und Rentenversicherung. Die Lebensarbeitszeit lässt sich so flexibel gestalten, etwa durch Altersteilzeit oder vorzeitigen Ruhestand. Zudem sinkt durch die eingezahlten Gehaltsbestandteile die laufende Steuerlast, da die Umwandlung aus dem Bruttogehalt steuerfrei ist. Erst bei Abruf des Guthabens besteuert das Finanzamt die Bezüge. Es handelt sich also um eine nachgelagerte Besteuerung, wie man sie von der Entgeltumwandlung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung kennt. Auf die Renditen des angesparten Guthabens wird auch keine Abgeltungssteuer fällig. Außerdem ist das angesparte Geld gesetzlich verpflichtend vor einer Pleite des Arbeitsgebers geschützt und kann sogar an die Nachkommen vererbt werden.
Auf der anderen Seite besteht für Arbeitnehmer kein gesetzlicher Anspruch auf die Einrichtung eines Zeitwertkontos. Arbeitgeber sollten sich aber überlegen, ob sie sich nicht doch darauf einlassen, denn auch für sie haben die Lebensarbeitszeitkonten diverse Vorteile. Das Angebot ist dabei nicht nur ein gewichtiger Pluspunkt im Wettbewerb um Talente und für das Image als modernes, innovatives Unternehmen, sondern auch gut geeignet, um die Mitarbeiter zu motivieren und an den Betrieb zu binden. Damit bleibt das Know-how langjähriger Mitarbeiter erhalten.
Überdies können Überstundenzuschläge und die Auszahlung von Urlaubsansprüchen so vermieden werden. Daneben wirkt sich die Entgeltumwandlung aus dem Bruttolohn auch vorteilhaft auf die Steuer- und Abgabenbelastung des Arbeitgebers aus. Sind Zeitwertkonten erst einmal erfolgreich eingeführt, kann es sogar kostengünstiger sein als klassische Vorruhestands- und Altersteilzeitlösungen.
Insolvenzsichere und rentable Kapitalanlage ist Pflicht
Um ein Zeitwertkontenmodell in einem Unternehmen zu etablieren, ist eine juristische wie fachliche Beratung empfehlenswert. Schließlich muss zunächst eine Betriebsvereinbarung für die ganze Belegschaft oder eine individuelle Wertguthabenvereinbarung mit dem betroffenen Mitarbeiter ausgehandelt und unterschrieben werden, bei der unter Umständen auch tarifvertragliche Vereinbarungen zu berücksichtigen sind. Geht es um die Verwaltung und die rentable sowie insolvenzsichere Kapitalanlage der Wertguthaben, können Unternehmen auf eine Reihe erfahrener Dienstleister zurückgreifen. Es gibt sie sowohl als produktunabhängige Verwalter und Treuhänder, als auch als Komplettanbieter, die sowohl das Vertragliche als auch die Kapitalanlage übernehmen. Neben spezialisierten Dienstleistern und Anwaltskanzleien sind es vor allem Finanzdienstleister wie Versicherungen und Vermögensverwalter, die Services rund um Zeitwertkonten anbieten.
Zeitwertkonten machen Auszeiten der Mitarbeiter unter dem Strich besser plan- und finanzierbar, insbesondere wenn es um Elternzeit, Sabbatical oder den vorzeitigen Ruhestand der Angestellten geht. Insgesamt sinken so die Fluktuationskosten, altersbedingte Krankheitskosten, die Personalressourcen werden besser eingesetzt und die Altersstruktur der Belegschaft wird besser steuerbar. Und die Mitarbeiter sind über die Aussicht froh, sich ohne Angst um Job und Portemonnaie eine Auszeit nehmen zu können – und zwar dann, wenn sie sie brauchen. Bei der Jobwahl kann dies ein entscheidendes Argument sein.
Über den Kapitalmarktblog:
Hier schreiben die Kapitalmarktexperten der Quirin Privatbank über die deutsche Wirtschaft und alles, was den heimischen Mittelstand bewegt. Das erfahrene Team der Quirin Privatbank hat die Entwicklungen rund um die Mittelstandsfinanzierung immer im Blick und zeigt auf, welche alternativen Finanzierungsformen für KMU interessant sind.