Der deutsche IPO-Markt wird oft schlechtgeredet. Doch die Fakten zeigen: Die Frankfurter Börse ist stärker, als viele glauben. Zeit für mehr Kapitalmarkt-Mut.
Ein Gastbeitrag von Stefan Maassen, Deutsche Börse
Der deutsche IPO-Markt ist ruhig – zu ruhig. Und wenn über Börsengänge öffentlich gesprochen wird, dann meist kritisch. Dabei haben wir allen Grund, selbstbewusster aufzutreten. Europa hat die Voraussetzungen für einen starken Kapitalmarkt, den Unternehmen dringend brauchen, um Investitionen zu finanzieren und international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Am Kapitalmarkt zählt Momentum – und genau hier müssen wir gemeinsam ansetzen. Damit auch die Gesellschaft, einschließlich der Mitarbeitenden, stärker an unternehmerischer Entwicklung teilhaben kann, braucht es Mut zum Börsengang hierzulande.
Die Frankfurter Börse ist die bessere Wahl
Die Entwicklung eines Unternehmens nach dem Börsengang ist ein entscheidender Indikator für den Erfolg des Listings. Vor 30 Jahren wagte das erste europäische Unternehmen den Schritt an die Nasdaq. Damals visionärer – seitdem hält sich jedoch bis heute das Narrativ von der überlegenen US-Tech-Börse hartnäckig. Doch die Fakten sprechen dagegen:
- Performance: IPOs an der Frankfurter Börse erzielten seit 2004 im Schnitt +24 Prozent, während US-Listings europäischer Firmen -13 Prozent verbuchten.
- Bewertung: Besonders bei Unternehmen unter zehn Milliarden Euro Marktkapitalisierung ist die Bewertung an der Frankfurter Börse oftmals attraktiver (EV/EBITDA 10,9x vs. 8,3x in den USA).
Die Daten zeigen: Der europäische Kapitalmarkt ist liquide, investorenfreundlich und bereit für Wachstumsunternehmen. Frankfurt ist nicht zweite Wahl – Frankfurt ist oft die bessere Wahl.
Heimvorteil nutzen: Sichtbarkeit und Liquidität an der Frankfurter Börse
Über 90 Prozent der IPO-Erlöse deutscher Unternehmen seit 2014 wurden an der Deutschen Börse erzielt. Gerade für deutsche Mid-Caps bedeutet ein Listing im eigenen Land eine höhere Sichtbarkeit als an ausländischen Börsen, da der Analysten- und Investorenzugang besser ist. Die Liquidität und Handelbarkeit ist gemessen am Turnover-to-Free-Float-Ratio (TFFR) ebenfalls deutlich besser als oftmals vermutet. Im internationalen Vergleich liegt diese Kennzahl beim DAX bei 4,5x. Der Nasdaq 100 erreicht 7,0x, der S&P 500 liegt bei 4,8x, während der Nebenwerte-Index Russell 2000 mit lediglich 0,6x deutlich darunter liegt. Besonders bemerkenswert: Der MDAX erreicht mit 4,0x eine hohe TFFR, obwohl viele seiner Unternehmen einen geringeren Streubesitz haben als etwa Nasdaq-Werte. Diese Zahlen belegen, dass die Frankfurter Börse auch für Unternehmen mit geringerem Streubesitz ein attraktiver Handelsplatz ist. Auch, weil eine Indexaufnahme in MDAX oder STOXX Europe 600 für zusätzliche Sichtbarkeit sorgt. Lokale Analysten und Fonds mit Fokus auf deutsche Unternehmen verstärken diesen Effekt.
Der Börsengang von PFISTERER im Mai erfolgte im KMU-Wachstumssegment Scale. Seitdem hat sich der Kurs mehr als verdoppelt, die Marktkapitalisierung liegt über einer Milliarde Euro. Allen Zweiflern zum Trotz konnten internationale Investoren gewonnen werden, auch Performance und Liquidität überzeugen. Das zeigt: Auch Mittelständler können in Frankfurt internationale Investoren gewinnen – und Kursverdopplungen feiern.
Privatanleger werden wichtiger
Noch immer hören wir häufig: „Ja, aber die Telekom-Aktie!“ Wer mittlerweile auf den Kurs schaut, dürfte ganz zufrieden sein und eine ordentliche Gesamtrendite erwirtschaftet haben. Wer beim damaligen IPO investierte, hat inklusive Dividenden, eine Gesamtrendite von ca. 210 Prozent oder vier Prozent Rendite pro Jahr erwirtschaftet. Und wer nicht ab dem ersten Tag dabei war, hat bei der Kursperformance über zehn Jahre bis März 2024 ein Plus von über 160 Prozent und bei der Fünf-Jahres-Kursperformance plus 85 Prozent erzielt. Im Gegensatz zum Sparbuch die weitaus bessere Wahl. Eine Investition in den DAX hätte in den letzten 20 Jahren, von 2004 bis Ende 2024, übrigens eine jährliche durchschnittliche Rendite von 8,0 Prozent erwirtschaftet. In den vergangenen 25 Jahren, beginnend ab Ende 1999 und somit mit der schlechtesten durchschnittlichen Rendite überhaupt für ein Investment in den DAX, betrug die durchschnittliche Rendite immer noch 4,4 Prozent pro Jahr.
Das Mindset hat sich in den letzten Jahren bei Privatanlegern bereits zum Positiven verändert. Seit 2014 ist die Zahl der Privatanleger in Deutschland um 44 Prozent gestiegen, das Handelsvolumen sogar um 150 Prozent. Ein Börsengang in Frankfurt öffnet Unternehmen genau diesen wachsenden Markt – während ein US-Listing deutschen Anlegern den Zugang erschwert.
Kapitalmarkt = Souveränität
Ein starker Kapitalmarkt ist kein Nebenschauplatz, sondern Teil europäischer Unabhängigkeit. Gerade in einer Zeit, die durch Macht- und Geopolitik gezeichnet ist. Europa verfügt über die Voraussetzungen für einen starken Kapitalmarkt, den Unternehmen dringend brauchen. Genau hier muss Europa Selbstbewusstsein im Kapitalmarktbereich aufbauen. Dafür braucht es:
- Ein Ökosystem, das Unternehmen in Europa hält und Perspektiven aufzeigt.
- Investorenbasis aus Institutionellen und Privaten.
- Partner wie die Deutsche Börse, die international aufgestellt ist.
Europa darf sich nicht länger kleinreden. Wir haben Innovation, Unternehmen, Infrastruktur und Kapital. Es braucht aber mehr Mut, daraus mehr zu machen. Europa braucht weniger Selbstzweifel – und mehr Kapitalmarkt-Mut.
———————
Über den Autor:

© Deutsche Börse
Stefan Maassen ist Head of Capital Markets & Corporates bei der Deutschen Börse und verantwortet den Primärmarkt. Das beinhaltet die Betreuung privater und börsennotierter Unternehmen sowie die Aktivitäten am Börsenplatz in Frankfurt.
Über den Kapitalmarktblog:
Hier schreiben die Kapitalmarktexperten der Quirin Privatbank über die deutsche Wirtschaft und alles, was den heimischen Mittelstand bewegt. Das erfahrene Team der Quirin Privatbank hat die Entwicklungen rund um die Mittelstandsfinanzierung immer im Blick und zeigt auf, welche alternativen Finanzierungsformen für KMU interessant sind.