Neue Arbeitszeitmodelle sind gefragt, viele Berufseinsteiger wünschen sich 4 statt 5 Arbeitstage pro Woche. Umstritten ist allerdings der volle Lohnausgleich, auch gibt es Zweifel an der Machbarkeit. Warum sich die 4-Tage-Woche dennoch für viele Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lohnt.
„Der Freitag wird der neue Samstag“, sagt Peter Spengler. Der Mitinhaber eines Handwerksbetriebs für Klimatechnik im bayerischen Friedberg hat in seinem Betrieb die 4-Tage-Woche eingeführt. Gearbeitet wird nur noch von Montag bis Donnerstag. Und nicht nur die Mitarbeiter sind froh über mehr Freizeit, auch der Chef ist begeistert. Die Motivation und Effektivität seiner Mitarbeiter hätten zugenommen. „Die Leute wissen, dass sie am Freitag frei haben, also machen sie den Job bis Donnerstag fertig. Das glaubt dir keiner, es ist aber so“, zitiert das Wochenmagazin Stern Firmenchef Spengler. Die 4-Tage-Woche mache die Arbeit nicht teurer, sondern effektiver. Und weil insbesondere jüngere Arbeitnehmer weniger Wert auf ein hohes Einkommen legten und mehr Freizeit wünschten, werde es dem Freitag so ergehen wie dem Samstag in den 70er-Jahren. Bis dahin galt der Samstag für die Erwerbstätigen als ein normaler Werktag.
Die 4-Tage-Woche beschäftigt derzeit Unternehmen, Arbeitnehmer, Gewerkschaften und die Politik. Die Idee: Die Wochenarbeitszeit soll auf nur vier Tage verteilt werden, ohne dass die Beschäftigten Lohneinbußen hinnehmen müssen. Dafür ist ein Tag pro Woche zusätzlich frei, damit die Mitarbeiter mehr Zeit für Familie, Hobbys und Erholung haben. Zwar haben Arbeitnehmer in Deutschland ohnehin einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeit, allerdings müssen sie dafür bislang auch entsprechende Lohneinbußen hinnehmen.
Aus Unternehmersicht klingt eine 4-Tage-Woche bei gleichem Gehalt daher zunächst nach einer schlechten Idee, die steigende Arbeitskosten mit sich bringt. Erste Feldversuche und Studien zur 4-Tage-Woche legen allerdings den Schluss nahe, dass eine Beschränkung auf vier Arbeitstage pro Woche für beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, mehr Vor- als Nachteile hat. Für viele Unternehmen ist es eine Win-Win-Situation, selbst für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU).
Mit 4-Tage-Woche gegen den Fachkräftemangel
Ausgerechnet der um sich greifende Fachkräftemangel spielt einer 4-Tage-Woche in die Karten. Da gerade der Mittelstand trotz guter Auftragslage zunehmend Probleme hat, neue Arbeitskräfte zu gewinnen, bietet die 4-Tage-Woche Chancen. Unternehmen, die einen zusätzlichen freien Tag anbieten können, berichten unisono, dass sie damit erfolgreich neues Personal anheuern. Denn im Grunde haben die Unternehmen mit vollen Auftragsbüchern nur zwei Möglichkeiten: Entweder die vorhandene Belegschaft muss Überstunden machen, oder die Arbeit muss auf mehr Köpfe verteilt werden. Die 4-Tage-Woche macht den Mittelstand attraktiv und beschert ihm neue Bewerberinnen und Bewerber.
Das hat beispielsweise das Bauunternehmen Wirtz erlebt. Die im Straßen- und Tiefbau tätige Firma hatte lange Probleme, neues Personal zu rekrutieren, viele Bewerber wünschten sich mehr Freizeit. Über Monate konzipierte und organisierte Wirtz dann eine 4-Tage-Woche mit vier Arbeitstagen á zehn Stunden. Die Belastung durch Zehn-Stunden-Tage sei zwar hoch, doch selbst ältere Mitarbeiter seien begeistert, weil sie schon Donnerstagnachmittag die Heimreise ins Wochenende antreten können. Die Wirtz-Bautrupps sind in ganz Deutschland unterwegs, viele Mitarbeiter übernachten unter der Woche auswärts und schätzen daher das verlängerte Wochenende sehr.
4-Tage-Woche erhöht Produktivität, Motivation und Gesundheit
Das neue Arbeitszeitmodell hat weitere Vorteile: Viele Unternehmen mit 4-Tage-Woche berichten von einem Rückgang des Krankenstandes, bei Wirtz ist er um 20 Prozent gesunken. Darüber hinaus spare das Unternehmen an einem freien Freitag bis zu 2.000 Liter Diesel, weil die Baufahrzeuge nicht unterwegs seien, so Geschäftsführer Rainer Wirtz. Das schone die Unternehmenskasse und die Umwelt gleichermaßen. Digitale Tools helfen, den veränderten Arbeitsalltag zu organisieren.
Längst haben auch groß angelegte Studien die positiven Effekte einer 4-Tage-Woche belegt. Ein sechsmonatiger Feldversuch mit 61 Unternehmen in Großbritannien hat beispielsweise ergeben, dass trotz der gesunkenen Arbeitszeit die Produktivität unverändert blieb. Gleichzeitig berichtete ein großer Teil der rund 3.000 teilnehmenden Mitarbeiter davon, dass sie sich weniger gestresst fühlten, weniger von Burn-outs betroffen seien und besser schliefen. Auch faktisch ist die Zahl der krankheitsbedingten Fehltage von 2 auf 0,7 pro Monat gefallen. Im Ergebnis wollen 56 der 61 teilnehmenden Unternehmen die 4-Tage-Woche beibehalten und unter den teilnehmenden Arbeitnehmern ist keiner, der zur 5-Tage-Woche zurückkehren will – auch wenn 13 Prozent angaben, sich durch die neuen Arbeitszeiten gestresster zu fühlen.
Europa testet neue Arbeitszeitmodelle
Vergleichbare Erfahrungen machen auch andere europäische Länder – und sie alle kommen zu positiven Ergebnissen. In Island etwa konnten 90 Prozent der Arbeitnehmer in Folge eines mehrjährigen Versuchs die Wochenarbeitszeit auf 35 bis 36 Stunden reduzieren. Belgische Arbeitnehmer können seit November 2022 selbst entscheiden, ob sie ihre Wochenarbeitszeit bei gleichem Gehalt an fünf oder nur an vier Wochentagen ableisten wollen. In Spanien wird in einem Test die Wochenarbeitszeit bei gleichem Lohn um einen halben Tag reduziert. Auch in Deutschland soll nun ein Versuch mit 50 Unternehmen starten.
Einzelne Betriebe preschen indessen vor. Vor allem Beispiele von Handwerksbetrieben und Bauunternehmen zeigen immer wieder, dass die Einführung einer 4-Tage-Woche überwiegend Vorteile hat, selbst wenn die Wochenarbeitszeit nicht verkürzt wurde wie im Beispiel Wirtz. Einige Betriebe haben einen Mittelweg gewählt: Sie haben die Wochenarbeitszeit von 40 auf 38 Stunden verkürzt, die Gehälter aber gleich gelassen – und so ihren Mitarbeitern eine Gehaltserhöhung um rund fünf Prozent gegönnt.
Bessere Work-Life-Balance durch 4-Tage-Woche
So etwa der Zimmerer- und Dachdeckerbetrieb von Sascha Rathje im norddeutschen Wedel. Bei ihm ist der Freitag nun grundsätzlich frei. Nur wer mag, darf und kann auch freitags und samstags zum normalen Stundenlohn arbeiten. Rathjes Fazit: „Obwohl wir im Wochendurchschnitt länger und mehr gearbeitet haben als früher, sind die Mitarbeiter super motiviert, Stimmung und Wirtschaftlichkeit haben sich klar verbessert.“
Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vom Mai 2023 hat festgestellt, dass zwei Prozent der Befragten bereits in den Genuss einer 4-Tage-Woche kommen. In der Befragung lehnten 17 Prozent diese generell ab. Allerdings wünschen sich 81 Prozent eine verkürzte Wochenarbeitszeit. Dabei geben 73 Prozent an, diese nur bei vollem Lohnausgleich zu wollen.
Das deutsche Arbeitsrecht erlaubt maximal zehn Arbeitsstunden pro Tag. Verteilt ein Arbeitgeber also 40 Wochenstunden auf nur vier Tage, sind darüberhinausgehende Überstunden ausgeschlossen. Kompromisse, wie bei Dachdecker Rathje mit einer leicht reduzierten Wochenarbeitszeit bei gleichem Gehalt, schaffen an dieser Stelle ein wenig Spielraum. Ansonsten sind Arbeitgeber auf zusätzliche Mitarbeiter angewiesen. Aber das gelingt im Mittelstand mit dem Angebot einer 4-Tage-Woche offenbar besser als Wettbewerbern mit den bislang üblichen Arbeitszeiten.
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