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Krisenfest gründen: Was Start-ups aus der Restrukturierung lernen können

von Lieselotte Hasselhoff
Krisenfest gründen: Was Start-ups aus der Restrukturierung lernen können

Die deutsche Start-up-Landschaft hat sich rasant entwickelt, insbesondere Berlin gilt als Hotspot für Innovationen. Rund 20  Prozent aller deutschen Start-ups sind hier ansässig. Die hohe Gründerdichte, vielfältige Geschäftsmodelle und die Nähe zu internationalen Investoren machen die Hauptstadt zu einem attraktiven Umfeld für junge Wachstumsunternehmen.

Ein Gastbeitrag von Dr. Fabian Meißner, LL.M.

Was macht Start-ups besonders? 

Start-ups unterscheiden sich deutlich von etablierten Unternehmen. Schon in frühen Phasen beschäftigen sie oft über 100 hochqualifizierte Mitarbeitende – ein Zeichen für den enormen Ressourcenbedarf beim Aufbau und der Skalierung neuer Geschäftsmodelle. Eine Internationalisierung erfolgt meist schon in der Frühphase, um den Erwartungen der Kapitalgeber gerecht zu werden. In den ersten Jahren sind die wenigsten Start-ups profitabel. Hohe Marketingkosten und laufende Ausgaben führen zu Verlusten, die durch externe Kapitalzuflüsse ausgeglichen werden müssen. Investoren finanzieren diese Wachstumsstrategie in regelmäßigen Finanzierungsrunden – meist alle ein bis zwei Jahre. Die Geschäftsmodelle sind stark technologiegetrieben: Softwarelösungen, datenbasierte Plattformen und digitale Dienstleistungen dominieren. Entsprechend hoch ist der Investitionsbedarf in Entwicklung und Skalierung. Auch kulturell unterscheiden sich Start-ups von herkömmlichen Unternehmen. Gründer sind oft hervorragend ausgebildet, aber unerfahren in der Führung größerer Betriebe. Ihre Risikobereitschaft und ihr Fokus auf Wachstum führen dazu, dass klassische Unternehmensfunktionen wie Controlling oder Buchhaltung vernachlässigt werden. 

Herausforderungen für Start-ups: Extern und intern 

Start-ups stehen regelmäßig vor komplexen Herausforderungen – sowohl extern (exogen) als auch unternehmensintern (endogen). Während einzelne Probleme oft lösbar sind, führt die Kombination mehrerer Faktoren häufig zum Scheitern. Die Praxis zeigt, dass das Marktumfeld und interne Strukturen entscheidend für den Erfolg sind.  

Externe Faktoren 

Die Kapitalbeschaffung ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Nach dem Boom 2021 agieren Investoren heute deutlich selektiver. Venture-Capital-Geber achten verstärkt auf belastbare Kundenentwicklungen, klare Monetarisierungsstrategien und branchenspezifische KPIs. Besonders Start-ups in den Bereichen AI, Deeptech und Medtech profitieren aktuell. Darüber hinaus gewinnt Venture Debt an Bedeutung – eine Fremdfinanzierung ohne Anteilsverwässerung, jedoch oft mit hohen Zinsen und strengen Vorgaben.  

Der Fachkräftemangel erweist sich als weiteres Problem. Gerade im IT- und Softwarebereich ist der Wettbewerb um Talente in Städten wie Berlin und Hamburg enorm. Die Folge sind steigende Personalkosten und Engpässe bei der Rekrutierung. Aber auch Standortnachteile belasten junge Unternehmen. Hohe Mieten, steigende Lebenshaltungskosten und bürokratische Hürden, z.B. bei der Gründung oder der Anmeldung ausländischer Mitarbeitender, führen zu Verzögerungen und zusätzlichen Kosten. Zudem wirken sich globale Entwicklungen negativ aus: Inflation, Zinserhöhungen, geopolitische Konflikte und wirtschaftliche Unsicherheit bremsen das Wachstum. Sowohl die Konsumfreude im B2C als auch die Investitionsbereitschaft im B2B-Bereich nehmen ab – mit direkten Folgen für Umsatz und Planungssicherheit. 

Endogene Faktoren 

Viele Gründer fokussieren sich stark auf Neukundengewinnung, während Kundenbindung und die Steigerung des Customer Lifetime Value vernachlässigt werden. Bleibt das Wachstum hinter den Erwartungen zurück, entstehen Abweichungen im Geschäftsplan. Folglich lassen sich die hohen Akquisitionskosten nicht durch stabile Bestandskunden kompensieren – Verluste steigen. 

Endogene Risiken: Planung, Finanzierung und Organisation 

Ein zentrales Problem vieler Start-ups ist die interne Planung. Um Investoren zu überzeugen, werden oft ambitionierte Umsatzprognosen erstellt – die Realität bleibt jedoch meist dahinter zurück. Insofern notwendige Korrekturen führen häufig zu Vertrauensverlust bei Kapitalgebern und Mitarbeitern, was sich negativ auf Finanzierung und Motivation auswirkt. Hinzu kommt die Abhängigkeit von regelmäßigen Finanzierungsrunden im 12- bis 24-Monats-Takt. Diese binden Managementkapazitäten und erhöhen den Druck auf die Geschäftsführung. Bleibt frisches Kapital aus, droht bei absehbarer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eine Insolvenzantragspflicht (§§ 18, 19 InsO).  

Zudem erfolgt die Expansion in neue Märkte oft ohne die gleichzeitige Anpassung interner Prozesse. Bereiche wie Buchhaltung und Controlling bleiben unterentwickelt – mit Folgen für Steuerung und Risikomanagement. Ein weiterer kritischer Punkt ist die starke Gründerzentrierung. Entscheidungsbefugnisse haben nur wenige Personen. Fällt eine Schlüsselperson aus, kann das gravierende Auswirkungen auf die Unternehmensstabilität haben, denn Informationen zu Investoren, Kunden oder Produkten sind oft nur informell verfügbar, was klare Strukturen und transparente Prozesse umso wichtiger macht. 

Handlungsansätze zur Stabilisierung von Start-ups 

Die Vielzahl interner und externer Herausforderungen verdeutlicht, wie komplex die Entwicklung von Start-ups verlaufen kann. In der Beratungspraxis haben sich Maßnahmen bewährt, die unabhängig vom Geschäftsmodell zentrale Schwachstellen adressieren und die Resilienz deutlich erhöhen. Ziel ist es, die finanzielle Steuerungsfähigkeit zu verbessern und die operative Struktur zu stabilisieren und damit die Grundlage für weitere Finanzierungsrunden und nachhaltiges Wachstum zu schaffen. 

Finanzwirtschaftliche Maßnahmen 

Ein professionelles Finanz- und Controlling-System ist essenziell. In jungen Unternehmen liegen Reporting- und Planungsaufgaben oft nur bei den Gründern. Mit wachsender Größe steigen jedoch die Anforderungen von Investoren an die Qualität und Regelmäßigkeit der Berichterstattung. Insofern sind transparente Auswertungen, Plan-Ist-Vergleiche und adressatengerechte Reports entscheidend für strategische Entscheidungen und erfolgreiche Finanzierungsverhandlungen. Ebenso wichtig ist eine realistische, rollierende Liquiditätsplanung über mindestens zwölf Monate. Sie hilft, Finanzierungslücken frühzeitig zu erkennen und Haftungsrisiken zu minimieren. Ergänzend können Kostenanalysen und gezielte Sparprogramme zu einer effizienteren Nutzung des Kapitals führen. Solche Maßnahmen sind oft sogar Voraussetzung für weitere Finanzierungsrunden. Für Geschäftsführer ist die Dokumentation der wirtschaftlichen Lage zentral. Eine fundierte Einschätzung zur Fortbestehensprognose, inklusive Bewertung der Erfolgsaussichten geplanter Maßnahmen, ist nicht nur für Investoren relevant, sondern auch rechtlich notwendig – etwa im Hinblick auf §19InsO. 

 Operative und organisatorische Maßnahmen 

Mit wachsender Komplexität steigen die Anforderungen an die Steuerung der Start-ups. Zwar verfügen viele über skalierbare Produkte und funktionierende Vertriebsstrukturen, doch zentrale Unternehmensfunktionen wie Entwicklung, Einkauf oder Vertrieb sind oft nur unzureichend organisiert. Fehlende Prozesse und Rollen führen zu ineffizienter Ressourcennutzung und langsamer Funktionsumsetzung. Ein erster Stabilisierungsschritt ist die Professionalisierung der Kernfunktionen – idealerweise durch den Aufbau einer zweiten Managementebene. Standardisierte Prozesse in Controlling, HR, IT und Legal schaffen nicht nur operative Entlastung, sondern auch Vertrauen bei Investoren und Partnern. Transformationsprozesse sollten nicht ausschließlich intern erfolgen. Der gezielte Einsatz externer Interim-Manager kann Fachwissen einbringen, Umsetzungsstaus lösen und Veränderungen beschleunigen – insbesondere wenn interne Kapazitäten fehlen. Zusätzliche Stabilität bieten strategische Kooperationen mit etablierten Unternehmen. Auch Partnerschaften in Vertrieb, Produktentwicklung oder Einkauf erhöhen die Marktdurchdringung und stärken die Position gegenüber Kapitalgebern. Gerade in Krisenzeiten helfen sie, Risiken zu reduzieren und Synergien zu nutzen. 

Fazit

Start-ups agieren in einem dynamischen, risikobehafteten Umfeld. Finanzielle Einbußen können schnell existenzbedrohend werden – mit rechtlichen Folgen für Gründer und Stakeholder. Da viele junge Unternehmen noch über kein ausgereiftes Geschäftsmodell verfügen, liegt der Schlüssel zum wirtschaftlichen Überleben in der strukturierten Stabilisierung zentraler Funktionen. Wer finanzielle Transparenz schafft und operative Prozesse gezielt professionalisiert, erhöht nicht nur die Überlebenschancen, sondern schafft auch neue Perspektiven für Wachstum und Skalierung. Die frühzeitige Auseinandersetzung mit diesen Themen bedeutet keinen Verlust an unternehmerischer Freiheit, sondern legt das Fundament für nachhaltigen Erfolg. 

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Über den Autor:

Dr. Fabian Meißner, LL.M.

© Deloitte

Dr. Fabian Meißner LL.M. ist Director im Bereich Restructuring, Turnaround & Cost Transformation bei Deloitte. Er weist mehr als zehn Jahre Erfahrung bei der Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen auf. Seine Kernkompetenz liegt in der Erstellung von Sanierungskonzepten und Optionsanalysen. Zudem hat er zahlreiche Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, u.a. Start-ups, während ihrer Restrukturierung, auch in Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren, begleitet. Darüber hinaus hat er umfangreichere Erfahrungen bei der Veräußerung von Unternehmen in Krisensituationen (Distressed M&A).

 

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