In Familienunternehmen treffen zumeist die Eigentümer alle wichtigen Entscheidungen – auch in Finanzierungsfragen. Doch immer häufiger haben die Familienbetriebe einen Aufsichtsrat, der über die Versorgung mit frischem Kapital mitentscheidet. Was nach Kontrollverlust klingt, erweist sich jedoch als strategischer Vorteil.
Familienunternehmen sind im deutschen Mittelstand – dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft – eher die Regel als die Ausnahme. Diese Unternehmen sind in ihrer Region meist tief verwurzelt, pflegen deren Werte und Traditionen und sind als Arbeitgeber geschätzt. Dabei trifft in der Regel die Eigentümerfamilie alle wichtigen Entscheidungen, die das Unternehmen betreffen, allein und unabhängig. Allerdings stoßen die Familienbetriebe immer öfter an ihre Grenzen, wenn sich Unternehmen an Wachstum, Nachfolge, Krisen oder neue Marktanforderungen anpassen müssen. Oft sind die Herausforderungen schlicht zu komplex, um sie allein am Familien-Küchentisch zu entscheiden. Das gilt insbesondere bei komplexen Finanzierungsfragen.
Daher kommt auch in Familienunternehmen zunehmend der Aufsichtsrat ins Spiel. Statt eine Firma und ihre geschäftliche Entwicklung lediglich zu überwachen, wird der Aufsichtsrat auch in Finanzierungsfragen in den Entscheidungsprozess einbezogen. Dabei zeigt sich, dass dessen Einbindung nicht zu einem Kontrollverlust der Eigentümerfamilie führt, sondern strukturierte, gemeinsam verantwortete Entscheidungen ein strategischer Fortschritt für die Unternehmen sind. Dafür sprechen vor allem die fünf folgenden Gründe:
1. Vom Alleingang zur strukturierten Mitgestaltung
In mittelständischen Familienunternehmen waren Entscheidungen über große Investitionen und neue Schulden üblicherweise allein Sache des engsten Familienkreises und der Geschäftsführung. Doch vor allem, wenn es um strategisch relevante Finanzierungsschritte wie Fremdkapitalaufnahmen, Private-Equity-Beteiligungen oder Anleiheemissionen geht, braucht es einen unabhängigen, sachkundigen Sparringspartner. Aufsichtsräte verfügen in diesen Fragen oft über einen breiten Erfahrungsschatz und können als Sparringspartner Objektivität, strukturelle Tiefe und die Fähigkeit zur kritischen Reflexion einbringen. So wird der Aufsichtsrat zum aktiven Entscheidungspartner. Diese aktive Rolle geht weit über die Funktion als nachgelagertes Kontrollorgan hinaus.
2. Aufsichtsrat als Vermittler zwischen familiären Werten und Investoren-Logik
Wenn es um große Summen geht, berührt das eine Unternehmerfamilie oft auch in ihrer Identität, ihrem Einfluss und ihrer Zukunft, schließlich geht es um ihr Vermögen, ihre Haftungsrisiken und ihr Lebenswerk und Erbe. Kein Wunder also, dass bei schwierigen Entscheidungen auch mal die Emotionen hochkochen. Der Aufsichtsrat kann hier vermitteln und bei der Kompromisssuche zwischen Ratio und Emotion helfen. Damit über Finanzierungsmodelle nicht nur auf Basis kurzfristiger Renditeziele und Bilanzkennzahlen entschieden wird, wirkt der Aufsichtsrat auf die Vereinbarkeit mit den langfristigen Zielen und Werten der Familie hin. Gerade in Verhandlungen mit externen Investoren kann ein Aufsichtsrat die unternehmerische Unabhängigkeit bewahren und Alternativen vorschlagen, wenn die Eigentümerfamilie zentrale Prinzipien bedroht sieht.
3. Expertise und Netzwerk von Finanzierungsprofis im Aufsichtsrat zahlen sich aus
Familienunternehmen, die zur Bewältigung ihrer Transformation im Zuge von Digitalisierung, Klimakrise und Lieferkettenproblemen viel investieren müssen, benötigen zunehmend eine andere, professionelle Finanzierungsarchitektur. Aufsichtsräte bringen hier echten Mehrwert, wenn sie über tiefgehende Kenntnisse in Strukturierungsfragen, Bankverhandlungen und alternativen Finanzierungsformen verfügen. Dadurch tragen sie dazu bei, die besten Optionen zu identifizieren. Über ihre vielfältigen Kontakte und Erfahrungen können Aufsichtsräte Türen öffnen, die für das Unternehmen sonst immer verschlossen waren, etwa zu spezialisierten Investoren, Förderinstitutionen oder Corporate Finance-Beratern.
4. Gute Unternehmensführung erfreut Investoren
Banken, Investoren und auch Rating-Agenturen achten heute verstärkt auf Governance-Strukturen, also eine professionelle, regelkonforme Unternehmensführung. Ein aktiver, kompetenter Aufsichtsrat ist somit auch ein Zeichen an die Kapitalgeber, dass dieses Unternehmen Verantwortung teilt, transparent agiert und professionell geführt wird. Da ESG-Kriterien und nachhaltige Steuerung für viele Investoren eine zwingende Voraussetzung sind, ist dies ein klarer Wettbewerbsvorteil, insbesondere für familiengeführte Mittelständler, die traditionell Entscheidungen ohne Aufsichtsgremium getroffen haben.
5. Minimierung von Finanzierungsrisiken für das Unternehmen
Die Finanzierung muss den Unternehmenszielen dienen und Wachstum ermöglichen, Risiken begrenzen und strategische Handlungsfähigkeit sichern. Der Aufsichtsrat hat als Prüfer der Finanzierungskonzepte entscheidenden Anteil daran, dass die Kapitalaufnahme langfristig erfolgt, auch in schwierigen Zeiten belastbar ist und den Unternehmenszielen entspricht. Dafür lässt er verschiedene Szenarien zur Unternehmenssituation durchspielen, hinterfragt vertragliche Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Geldgeber (Covenants), Rückzahlungsmodalitäten und externen Einflussnahmen – und trägt damit aktiv zur Risikominimierung bei. Zudem kann er auf die Nachhaltigkeit der Finanzierungsstrategie gestaltend Einfluss nehmen.
Fazit
Familienunternehmen, die den Aufsichtsrat in Finanzierungsentscheidungen einbinden, durchleben häufig einen kulturellen Wandel: Der alleinentscheidende Unternehmer tritt in den Hintergrund, und es wird gemeinsam mit dem Aufsichtsgremium in einem strukturierten Prozess entschieden. Das sollten Unternehmerfamilien nicht als einen Verlust an Kontrolle betrachten, sondern als einen Gewinn an Qualität, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit. Die frühzeitige und aktive Einbindung des Aufsichtsrats ist daher gerade heute ein Gebot der unternehmerischen Vernunft.
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