Der Aufbau funktionierender E-Commerce-Konzepte ist eine der drängendsten Herausforderungen des mittelständischen Einzelhandels. Dabei kommt es nicht nur auf die technische Unterstützung stationärer Händler bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse an. Vielmehr gilt es, ihre Unabhängigkeit auch im Online-Handel nachhaltig zu sichern. Ein kritischer Blick auf die gegenwärtigen Wettbewerbsbedingungen ist dafür unabdingbar. Ein Gastbeitrag von Marius Müller-Böge, Referent für Mittelstandspolitik beim Mittelstandsverbund – ZGV e.V.
Von Marius Müller-Böge
Unlängst wurde an dieser Stelle in einem Gastbeitrag darauf hingewiesen, dass es dem stationären Handel gelingen muss, seine Stärken in der umfassenden Kundenberatung auch ins Online-Geschäft zu übertragen. Dabei geht es allerdings um mehr als nur um Fragen der IT-Infrastruktur und Softwarenutzung. Genauso muss das Wettbewerbsumfeld in den Blick genommen werden, das sich entscheidend auf die Chancen stationärer Händler auswirkt.
Corona-Pandemie als Treiber des Online-Handels
Die Corona-Pandemie hat dem mittelständisch geprägten Handel in Deutschland nicht nur enorme Umsatzeinbußen im Zuge wiederholter Lockdowns und Einschränkungen des Geschäftsbetriebs beschert. Sie hat sich zudem zu einem Treiber des Online-Handels entwickelt. Insgesamt konnten dabei vor allem die bereits etablierten Online-Plattformen profitieren und ihre Umsätze deutlich steigern. Doch auch die bisher stationär ausgerichteten kleinen und mittleren Händler haben vielfach schnell reagiert und durch niedrigschwellige Online-Angebote den Kontakt zum Kunden gehalten – z.B. über Social Media-Kanäle. Während diese Instrumente für kleinere Händler mit vergleichsweise geringen Kosten verbunden sind, setzen sie dennoch Grenzen für die Skalierbarkeit des Geschäfts und ersetzen mittelfristig kein kohärentes und funktionierendes E-Commerce-Konzept.
Digitalisierung ist kostenintensiv, aber unumgänglich
Wer also im Online-Handel ansatzweise mit etablierten großen Plattformen mithalten möchte, kommt um größere Investitionen in den eigenen Online-Vertrieb nicht herum. Es steht außer Frage, dass gerade die kleineren Händler hier auf Unterstützung und Know-how angewiesen sind. Wichtige Aufgaben übernehmen dabei die mittelständischen Kooperationen: Von der Beschaffung, der Bereitstellung notwendiger Expertise bis hin zur Entwicklung gemeinsamer E-Commerce-Konzepte entstehen so Mehrwerte. Die Zusammenarbeit im Verbund ist damit auch online Garant für individuelle Kundenerlebnisse, bei denen der einzelne Händler sowie der regionale Kontext im Vordergrund stehen. Angesichts des hohen hierfür notwendigen Investitionsvolumens ist der Ausbau gezielter und hinreichend ausgestatteter öffentlicher Förderprogramme erforderlich. Trotz bisher geringerer Gewinnmargen im Online-Handel dürfen Händler keinesfalls den Fehler machen, sich davon fernzuhalten. Denn letztendlich geht es darum, die eigenen Marktanteile abzusichern und dabei den stationären Vertrieb sinnvoll mit dem Online-Handel zu verknüpfen.
Ungleiche Wettbewerbsbedingungen, ungleiche Chancen
Es sind gerade die Marktanteile im Online-Handel, die über den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg der Händler entscheiden. Denn mit hohen Marktanteilen ist auch ein breiter Zugang zu kundenbezogenen Daten verbunden. Je größer Marktanteil und Datenzugang, desto größer auch das Wissen um Kundenwünsche und zukünftige Trends. Der wirtschaftliche Erfolg großer Plattformen wie Amazon gründet wesentlich darauf, dass diese seit langem die Daten ihrer Kunden umfassend auswerten und zur Optimierung von Kaufempfehlungen nutzen. Dasselbe gilt für die Daten von externen Verkäufern, die ihre Waren über die Plattformen verkaufen und dabei von diesen abhängig sind. Allerdings sind die Marktanteile nicht erst seit der Corona-Pandemie höchst ungleich verteilt. Zwar sind die kleineren Händler vielfach sehr aktiv dabei, die Digitalisierung ihres Vertriebs nachzuholen und ihre Online-Shops kontinuierlich auszubauen. Den großen Vorsprung großer Online-Plattformen, die zudem von global agierenden Digitalkonzernen betrieben werden, können sie dennoch nicht aus eigener Kraft aufholen.
Datenzugang als Schlüssel
Politik und Wettbewerbsbehörden sind deshalb gefordert, für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen, die auch kleineren Händlern die Chance bieten, im Online-Handel Fuß zu fassen. Die in diesem Jahr in Kraft getretene 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist daher ein wichtiger Schritt, der dem Bundeskartellamt die richtige Handhabe in Zeiten einer digitalisierten Wirtschaft liefert. Denn dominierende Marktmacht basiert maßgeblich auf dem Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten. Mittelständische Händler, die erst zu einem späteren Zeitpunkt in den E-Commerce einsteigen, haben keinen Zugang zu diesen wertvollen Daten und sind somit strukturell im Nachteil. Dass ihnen über die erweiterten Befugnisse der Wettbewerbsbehörden bei Vorliegen einer dominierenden Marktmacht der Zugang zu diesen Daten – freilich gegen Entgelt – eingeräumt werden soll, ist daher völlig angemessen. Ohne einen entsprechenden Ausgleich der Marktmacht – zu dem auch eine konsequentere Besteuerung der Digitalkonzerne am Ort der Wertschöpfung beitragen kann – würde eine erfolgreiche Digitalisierung des mittelständischen Handels deutlich erschwert. Dies darf bei der ohne Frage wichtigen Diskussion über technische Fragen der Digitalisierung nicht vergessen werden.
Marius Müller-Böge ist seit 2019 als Referent für Mittelstandspolitik beim MITTELSTANDSVERBUND – ZGV e.V. tätig. Dort kümmert er sich um ein breites Themenfeld insbesondere wirtschafts- und steuerpolitischer Fragen. DER MITTELSTANDSVERBUND vertritt als Verband die Interessen von über 300 gewerblichen Verbundgruppen mit etwa 230.000 angeschlossenen Unternehmen im Handel sowie vielen weiteren Branchen des kooperierenden Mittelstands. | Autor