Der Prozess auf dem Weg zum IPO gleicht einer Filmproduktion. Bevor ein Film in die Kinos kommt, wird er stets einem Testpublikum vorgeführt. In diesen sogenannten Screenings prüft das Studio, wie bestimmte Szenen ankommen, ob der Spannungsbogen trägt – und ob das Zielpublikum erreicht wird. Im Rahmen eines Börsengangs spricht man von einem sogenannten Pilot Fishing, dem sich in Abhängigkeit vom Verlauf das breitere Market Sounding anschließt. Investmentbanken sprechen dabei mit ausgewählten Investoren, um einen ersten Eindruck dafür zu bekommen, ob das Unternehmen und die „Equity Story“, also das Drehbuch, marktfähig sind.
Es gilt wie bei einer klassischen Beziehungskomödie eine Anbahnung herbeizuführen. Es muss in einer sehr kurzen Zeitphase gelingen, den Investoren als Publikum über die Equity Story, die handelnden Personen und das Zahlenwerk des Unternehmens den Hof zu machen. Im nächsten Schritt geht es darum, sich auf ein weiteres Date einzulassen und später die Aktie zu zeichnen. Doch wie beim Film reicht es nicht, nur Feedback einzusammeln, sondern entscheidend ist, wer befragt wird. Das Publikum muss zur Zielgruppe passen – im Kapitalmarkt ist das der richtige Investoren-Mix. Wer später erfolgreich gelistet und potenziell in einen Index wie MDAX oder SDAX aufgenommen werden will, muss sich bewusst und strategisch aufstellen.
Das Index-Publikum für mittelständische Unternehmen: Ein bewährter Investorenmix
Ein Blick auf typische börsennotierte Mittelstandsunternehmen in SDAX oder MDAX zeigt ein klar strukturiertes Aktionariat:
- Langfristige institutionelle Investoren (Pensionskassen, Versicherungen)
- Aktiv gemanagte Fonds (Long-Only)
- Kleine unabhängige Vermögensverwalter & Family Offices
- Privatanleger (Retail)
Dieser Mix bringt Vorteile: Stabilität durch langfristige Investoren, Liquidität durch aktive Fonds, Diversität durch kleinere Anleger und breite Marktwirkung über Retail. Er erfüllt zentrale Kriterien der Deutsche Börse AG zur Indexaufnahme – insbesondere Streubesitz, Marktkapitalisierung im Free Float und Handelsumsatz. Diesem gilt es sich maximal möglich im Rahmen eines Börsengangs anzunähern, denn im nächsten Schritt wartet ein seit Jahren wachsendes Segment der passiv gemanagten Investoren, die ETFs. Diese legen rein anhand der Zugehörigkeit und der Gewichtung in einem Index ihr Geld an.
Die Bedeutung von Pre-Sounding & Targeting
Die Market-Sounding-Phase ist die „Probevorführung“ für den Börsengang. Banken sprechen mit handverlesenen Investoren – etwa 10 bis 20 – um zu evaluieren, wie diese auf das Unternehmen reagieren. Zeigt ein potenzieller Ankerinvestor Interesse? Wird das Geschäftsmodell verstanden? Gibt es Rückfragen zum Markt, zur Governance oder zur Nachhaltigkeitsstrategie?
Aber auch hier gilt: Nicht jeder erreicht jede Zielgruppe.
Warum nicht jede Bank jedes Publikum erreicht (auch wenn sie das natürlich gern suggeriert)
Seit Inkrafttreten von MiFID II (2018) ist die Kapitalmarktlandschaft stark fragmentiert. Research und Vertrieb sind getrennt, Banken müssen ihre Leistungen einzeln bepreisen, und einige kleinere Investmentbanken haben sich aus dem klassischen Kapitalmarktgeschäft zurückgezogen.
Das hat konkrete Folgen für das IPO-Targeting:
- Internationale Großbanken bedienen vor allem große und internationale Fonds mit hoher Allokationskraft
- Spezialisierte Investmentbanken haben Zugang zu mittelgroßen Fonds, spezialisierten ESG-Investoren oder regionalen Buy-Side-Analysten
- Retail-Plattformen und Neo-Broker sind der Schlüssel zum aufgeklärten und börsenaffinen Privatanlegersegment – essenziell für Streubesitz und spätere Handelsliquidität
Wer nur mit internationalen Großbanken oder spezialisierten Investmentbanken antritt, riskiert die Überschneidung und kein synergetisches Vorgehen: Im Gegenteil, dieselben Investoren werden mehrfach angesprochen, das Orderbuch bleibt einseitig. Es fehlen „Nischenzielgruppen“, die für Stabilität und Vielfalt sorgen und auch den nächsten Schritt in einen Index schwerer machen. Ein Börsenkandidat möchte das Geld Dritter, und diese haben nicht auf diese spezifische Aktie gewartet. Die Achtung davor gebietet es daher, alle Zielgruppen adäquat im Rahmen einer Vermarktung anzusprechen und keine auszusparen.
Ein Mix für die Premiere: IPO als Multiplex-Start
Wie ein guter Film nicht nur in Kinos mit rotem Teppich, sondern auch im Arthouse, auf Festivals und im Streaming startet, sollte auch ein IPO über einen Investmentbankenmix orchestriert werden. Nur so lässt sich jede Investorengruppe gezielt ansprechen – mit der richtigen Sprache, dem passenden Kanal und dem nötigen Zugang.
Die Kunst liegt in der Koordination:
- Großbanken liefern Reichweite und Skalierung
- spezialisierte Banken bringen Nähe und Relevanz
- Retail-Kanäle sorgen für breite Akzeptanz und Sichtbarkeit
Fazit: Kein Film wird ein Hit, wenn er am Publikum vorbeigeht
Ein IPO ist kein Selbstläufer – genauso wenig wie ein Kinostart. Nur wer frühzeitig mit dem richtigen Publikum probt, erfährt, was erfolgreich wird und was nicht. Der richtige Investorenmix ist keine Frage des Zufalls, sondern das Ergebnis gezielter Planung. Wer heute beim Pilot Fishing und breiterem Market Sounding zu einseitig vorgeht, zahlt den Preis in der Zukunft mit fehlender Liquidität, verpassten Indexchancen – und einem Publikum, das vielleicht gar nicht weiß, dass der Film überhaupt läuft.
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