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IPOs in Deutschland – Wann endet das Trauerspiel?

von Lieselotte Hasselhoff
Dunkler Himmel über der Frankfurter Börse: Wie lange hält die IPO-Flaute noch an?

Das Umfeld für Börsengänge in Deutschland bleibt herausfordernd. Laut der aktuellen IPO-Studie 2024 von Kirchhoff Consult zeigte der Markt für Börsengänge im Prime Standard abermals nur eine moderate Aktivität. Mit vier IPOs wurde zwar ein Unternehmen mehr als im Vorjahr an die Börse gebracht, doch das Platzierungsvolumen fiel mit lediglich 1,5 Milliarden Euro auf den zweitniedrigsten Wert der letzten zehn Jahre. Über die Hälfte davon kam von der Douglas AG, dem größten Börsengang des Jahres (Emissionsvolumen: 889 Millionen Euro). Was sind die Ursachen für diese schwache Bilanz und wann sehen wir in Deutschland wieder mehr Börsengänge als Delistings? 

Ein Gastbeitrag von Jens Hecht

Ein angespanntes Marktumfeld für Börsenneulinge trotz DAX-Rekorden 

Nach einem optimistischen Jahresbeginn 2024 führte eine schwache Konjunktur in Kombination mit geopolitischen Spannungen zu erhöhter Marktunsicherheit. Dennoch konnte der DAX von der sich stabilisierenden Weltwirtschaft und geldpolitischen Lockerungen profitieren. Der Index erreichte Anfang Dezember erstmals die Marke von 20.000 Punkten und legte insgesamt 18,8% im Jahr 2024 zu. Diese positive Entwicklung spiegelte sich jedoch – wie bereits in den letzten Jahren – weder in der Anzahl noch in den Kursen der Börsenneulinge wider. Drei der vier IPOs notieren im Minus. Einzig die Aktie der Springer Nature AG & Co. KGaA zeigte mit einem Kursplus von knapp 9% (Stand: Ende November 2024) eine bessere Performance. Investoren zeigen sich daher weiterhin zurückhaltend bei der Zeichnung von Neuemissionen.  

Die anhaltende Skepsis gegenüber Börsengängen ist auf diverse Faktoren zurückzuführen. Zum einen belastet die schwache Kursentwicklung anderer Börsenneulinge die allgemeine Stimmung am IPO-Markt. Viele Investoren sind vorsichtig, da sie in den vergangenen Jahren häufig erlebt haben, dass Neuemissionen nach ihrem Debüt schnell unter Druck gerieten. 17 von 27 Unternehmen, die seit 2019 an die Börse gegangen sind, notierten im Jahr des IPOs im Minus. Einige Neulinge haben kurz nach dem Listing mit Gewinnwarnungen die Investoren schockiert. Zum anderen sorgen ambitionierte Bewertungsvorstellungen der Börsenkandidaten für Zurückhaltung. Dadurch bietet sich den Erstzeichnern auf kurze Sicht nur wenig Kurspotenzial. Geringe Bewertungsabschläge im Vergleich zu etablierten börsennotierten Unternehmen verderben Investoren den „Appetit“ auf das Risiko, in einen Börsenneuling zu investieren. Erschwerend kommen wirtschaftliche und politische Unsicherheiten hinzu. Die fragile globale Konjunktur, anhaltende Inflationstendenzen und geopolitische Konflikte, wie der Ukraine-Krieg oder Spannungen im Nahen Osten, sorgen für ein schwieriges Umfeld für Börsengänge. In einem unsicheren Marktumfeld setzen viele Investoren daher vermehrt auf etablierte Unternehmen mit bekannten Geschäftsmodellen statt auf junge Neuemittenten mit vielen Chancen, aber auch vielen Risiken. 

IPO-Studie: Rückgang der Anzahl börsennotierter Unternehmen 

Während die Zahl der Börsengänge auf einem niedrigen Niveau verharrt, stieg die Anzahl der Delistings deutlich an. Den vier Neuemissionen im Jahr 2024 stehen mehr als zehn Delistings im Regulierten Markt gegenüber. Die Zahl der in Deutschland börsennotierten Unternehmen ist auf rund 400 gesunken – nahezu eine Halbierung in den vergangenen 20 Jahren. Ein bedeutender Treiber für Delistings sind derzeit Übernahmen durch strategische Investoren oder Private-Equity-Gesellschaften. Häufig erweisen sich Unternehmen aufgrund niedriger Börsenbewertungen insbesondere im Small- und Midcap-Segment als attraktive Übernahmeziele. Beispielsweise hat die spanische Telefónica-Gruppe 2024 ihre deutsche Tochtergesellschaft Telefónica Deutschland Holding AG von der Börse genommen, um flexibler agieren zu können. Auch der Wind- und Solarparkbetreiber Encavis AG wird 2025 von der Börse verschwinden, nachdem ein Konsortium aus KKR und Viessmann eine Mehrheitsbeteiligung erworben hat. Darüber hinaus spielen regulatorische Anforderungen und hohe Kosten für die Börsennotierung eine Rolle. Für mittelständische Unternehmen verliert die Börse durch diese Hürden an Attraktivität. Dies führt langfristig zu einer Verringerung der Investitionsmöglichkeiten für Anleger und verringert die Vielfalt am Börsenstandort Deutschland.  

Trotz der positiven Kursentwicklung des DAX bleibt der Primärmarkt somit weiterhin unter Druck. Ob sich der Trend zu wenigen IPOs und zahlreichen Delistings in den kommenden Jahren umkehrt, hängt maßgeblich von der weiteren wirtschaftlichen und geopolitischen Entwicklung sowie der Attraktivität des Kapitalmarkts für Unternehmen ab. 

Optimismus für 2025: Mehr IPOs in Sicht 

Für das Jahr 2025 könnte sich der IPO-Markt spürbar beleben. Nach einer Phase der Zurückhaltung in den letzten Jahren, bedingt durch geopolitische Unsicherheiten und wirtschaftliche Volatilität, wird eine deutliche Zunahme der Börsengänge erwartet. Wir gehen von 8 bis 10 Börsengängen im Prime Standard aus. Insbesondere Unternehmen aus zukunftsorientierten Branchen wie Technologie und erneuerbaren Energien könnten von einem verbesserten Marktumfeld profitieren. Zu den potenziellen Kandidaten zählen unter anderem das Energie-Start-up 1Komma5° und das Fintech Raisin sowie der Pharmakonzern Stada, die laut Marktbeobachtern einen Börsengang vorbereiten oder anstreben. Das Umfeld für IPOs bleibt jedoch anspruchsvoll. Trotz attraktiver Bewertungsniveaus können wirtschaftliche, politische und geopolitische Unsicherheiten sowohl das Investoreninteresse als auch das Timing neuer Börsengänge beeinflussen. Zudem stehen den Unternehmen weiterhin alternative Finanzierungsoptionen wie Private Equity zur Verfügung, die es ermöglichen, Kapital für Wachstum aufzunehmen oder einen schnellen Exit zu realisieren, ohne sich den komplexen Regularien eines Börsengangs zu unterwerfen. Dennoch bleibt der Börsengang ein attraktives Instrument, um langfristig Kapital zu sichern und die Marktpräsenz zu stärken.  

Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, sind bis zu 50 Börsengänge in Deutschland realistisch 

Vielversprechende Chancen wie eine niedrigere Inflation, eine unterstützende Geldpolitik und das steigende Interesse an technologiebasierten Geschäftsmodellen könnten den deutschen Primärmarkt beleben. Zudem machen die bereits hohen Bewertungen an der Börse den Gang aufs Parkett für einige Unternehmen besonders attraktiv, da sie eine vorteilhafte Kapitalaufnahme ermöglichen – auch ohne Abgabe der Mehrheit der Stimmrechte. Ein Börsengang kann daher eine entscheidende Finanzierungsquelle sein, um weiteres Wachstum zu sichern und Expansionsstrategien zu realisieren.  

Die deutsche Wirtschaft hat ein Potenzial von bis zu 50 IPOs pro Jahr. Der Weg dahin ist allerdings noch weit. Um dieses Wachstumspotenzial auszuschöpfen, sind eine stärkere Förderung der Aktienkultur und ein gezielter Abbau regulatorischer Hürden erforderlich. Insbesondere mittelständische Unternehmen scheuen oft den Börsengang, da die Anforderungen und Berichtspflichten mit erheblichem Aufwand verbunden sind. Eine Vereinfachung der Prozesse und eine breitere Anlegerbasis könnten dazu beitragen, die Attraktivität der Börse als Finanzierungsinstrument zu steigern. Die Börse bleibt eine zentrale Plattform für die langfristige Kapitalbeschaffung. Gerade in einem Umfeld mit steigenden Bewertungen kann sie Unternehmen den Zugang zu frischem Kapital erleichtern und ihnen die Möglichkeit bieten, ihre Wachstumsstrategien effizient umzusetzen. 

Die vollständige IPO-Studie 2024 von Kirchhoff Consult finden Sie hier. 

Über den Autor:

Jens Hecht, Managing Partner bei Kirchhoff Consult AG

© Kirchhoff Consult 

Jens Hecht ist CFA-Analyst und berät bereits seit 1995 Unternehmen zu Corporate Finance, Kapitalmarkttransaktionen, Investor Relations und Finanzberichterstattung. Seit 2000 ist er bei Kirchhoff Consult und heute Managing Partner. Jens Hecht hat mehr als 30 erfolgreiche Börsengänge betreut, börsennotierte Unternehmen bei ihrer Kapitalmarktkommunikation unterstützt und zahlreiche Studien und Fachbeiträge rund um Kapitalmarktthemen veröffentlicht.

 

 

 

Eva-Maria Bernreuther

© Kirchhoff Consult

Eva-Maria Bernreuther studierte Public Relations. Seit 2024 ist sie bei Kirchhoff Consult und berät mittelständische Unternehmen bei ihrer Kapitalmarktkommunikation. 

 

 

 

 

Über den Kapitalmarktblog:

Hier schreiben die Kapitalmarktexperten der Quirin Privatbank über die deutsche Wirtschaft und alles, was den heimischen Mittelstand bewegt. Das erfahrene Team der Quirin Privatbank hat die Entwicklungen rund um die Mittelstandsfinanzierung immer im Blick und zeigt auf, welche alternativen Finanzierungsformen für KMU interessant sind.

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