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Deutschlands Börsen vor der Weggabelung

von Holger Clemens Hinz
Weggabelung: Wohin soll sich Deutschlands Kapitalmarkt entwickeln?

Die anstehenden Bundestagswahlen und die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft bieten Deutschland eine einmalige Gelegenheit, ein starkes Ökosystem rund um Deutschlands Kapitalmarkt und Börse zu schaffen. Doch die Risiken sind ebenso groß: Ohne entschlossene Reformen droht der Finanzplatz Deutschland weiter ins Hintertreffen zu geraten. Schon jetzt zeigt sich ein deutlicher Abwärtstrend. Die Zahl börsennotierter Unternehmen sinkt seit Jahren, IPOs bleiben selten, und immer mehr Start-ups suchen ihr Glück in den USA oder anderen europäischen Ländern, wo sie attraktivere Finanzierungsbedingungen vorfinden.

Ein Beitrag von Holger Clemens Hinz und Dr. Andreas Zanner

Die Folgen sind gravierend: Fehlendes Wachstumskapital gefährdet Innovationen, Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Der Bundesverband Beteiligungskapital (BVK) hat gemeinsam mit dem Institut für Mittelstandsforschung aufgezeigt, dass Investorenbeteiligungen maßgeblich zum Umsatzwachstum und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen. Doch ohne einen attraktiven Kapitalmarkt in Deutschland fließen Investitionen ins Ausland. Um diesen Trend umzukehren, haben Holger Clemens Hinz und Dr. Andreas Zanner für den BVK konkrete Vorschläge entwickelt.

Die fünf zentralen Stellschrauben 

  1. Aktienkultur fördern und Zugang erleichtern

Deutschland braucht eine neue Aktienkultur. Obwohl die Deutschen weltweit als Sparmeister gelten, fließen ihre Ersparnisse kaum in Wertpapiere. Diese Zurückhaltung schwächt den Kapitalmarkt und schadet Unternehmen, die dringend privates Wachstumskapital benötigen. Eine Stärkung der Aktienkultur könnte wie folgt gelingen: 

  • Provisionsverbot und bessere Ausführung: Finanzanlageprodukte sollten provisionsfrei angeboten werden, und Banken müssen gesetzlich zur bestmöglichen Ausführung von Wertpapierorders verpflichtet werden.
  • Interessenkonflikte reduzieren: Rückvergütungen von Market Makern an Banken sollten begrenzt werden, um Vertrauen in den Markt zu schaffen.
  • Börsengänge vereinfachen: Die Hürden für IPOs, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sowie Start-ups, müssen deutlich gesenkt werden. Ein einfacher Zugang zu den Börsen schafft attraktive Investitionsmöglichkeiten für Sparer und erhöht die Vielfalt an der Börse.
  1. Steuerliche Anreize für Investitionen schaffen

Eine attraktive steuerliche Gestaltung ist essenziell, um Kapital in Deutschland zu halten. Folgende Maßnahmen könnten Investitionen in den deutschen Kapitalmarkt fördern:

  • Wiedereinführung der Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne: Nach Ablauf einer Haltefrist sollten Gewinne aus Aktienverkäufen steuerfrei sein, um langfristige Investments zu fördern.
  • Steuerliche Privilegien für Start-up-Investitionen: Investoren könnten etwa durch einen vollständigen Verlustabzug in den ersten zehn Jahren eines Start-ups gefördert werden. Dies mindert das Risiko und lenkt Kapital in wachstumsstarke Unternehmen.
  • Nachgelagerte Besteuerung von Direktanlagen: Ähnlich wie bei Riester- oder Rürup-Verträgen könnten Kleinanleger bei Direktanlagen steuerlich entlastet werden, was den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtert.
  1. Kapitalgedeckte Rente als Katalysator

Die demografische Entwicklung stellt das umlagefinanzierte Rentensystem vor massive Herausforderungen. Ein Teil der Rentenbeiträge sollte daher kapitalgedeckt und am Markt investiert werden. Dies hätte gleich mehrere Vorteile: 

  • Höhere Renditen entlasten die Rentenkassen und mildern die Belastung durch die alternde Bevölkerung.
  • Zusätzliche Liquidität stärkt den Kapitalmarkt und erhöht dessen Stabilität.
  • Börseninvestments werden Teil der Sparmentalität und fördern langfristig die Aktienkultur.
  1. Kapitalmarktunion und Regularien modernisieren

Europaweit einheitliche Kapitalmarktregeln könnten grenzüberschreitende Investitionen erleichtern und den Standort wettbewerbsfähiger machen. Die folgenden Punkte sind zentral:

  • Einheitliche Rahmenbedingungen: Eine Harmonisierung der Vorschriften für Zentralverwahrer und steuerliche Regularien würde Börsengänge auch außerhalb des Heimatmarkts attraktiver machen.
  • Listing Act und Zukunftsfinanzierungsgesetz verbessern: Diese Regelwerke sollten so angepasst werden, dass sie KMUs und Start-ups niedrigere Kosten und einfachere Zugänge bieten.
  • Kostenreduktion für Börsennotierungen: Die Berichtspflichten und Anforderungen an Prospekte sind oft hohe Hürden für kleinere Unternehmen. Eine Vereinfachung könnte diese Unternehmen schneller an Deutschlands Kapitalmarkt führen und so Wachstumskapital mobilisieren.
  1. MiFID II abschaffen und Verbraucherschutz neu denken

Die EU-Richtlinie MiFID II hat den Kapitalmarkt durch Überregulierung erheblich behindert. Ihre Abschaffung wäre ein entscheidender Hebel, um mehr Dynamik zu schaffen. Gleichzeitig ist eine Anpassung des Verbraucherschutzes nötig. Aktuelle Vorschriften sind oft ineffektiv und teuer. Stattdessen sollten Regelungen eingeführt werden, die sowohl Anlegern als auch Anbietern praxisnahe und sinnvolle Rahmenbedingungen bieten.

Weichenstellung für Deutschlands Kapitalmarkt

Die genannten Maßnahmen zeigen, dass die Wiederbelebung des deutschen Kapitalmarkts keine einfache Aufgabe ist, aber eine zentrale Bedeutung für die wirtschaftliche Zukunft des Landes hat. Ein funktionierender Kapitalmarkt ist nicht nur essenziell für Unternehmen, sondern auch für Anleger, Investoren und die gesamte Volkswirtschaft.

Ohne mutige Reformen droht Deutschland weiter den Anschluss zu verlieren. Junge, innovative Unternehmen finden schon jetzt im Ausland bessere Bedingungen, während der heimische Markt immer abhängiger von externem Kapital wird. Die Zeit für einen Richtungswechsel ist jetzt: Mit einer konsequenten Förderung der Aktienkultur, steuerlichen Anreizen, einem kapitalgedeckten Rentensystem, moderner Regulierung und der Abschaffung von Hemmnissen wie MiFID II kann Deutschlands Kapitalmarkt nicht nur revitalisiert, sondern zu einem Treiber von Wachstum und Innovation werden.

Es liegt an der Politik, die Chancen zu nutzen, bevor sie endgültig vertan sind. Die anstehenden Wahlen und die Transformation bieten die Möglichkeit, eine zukunftsfähige, nachhaltige Basis für den Finanzplatz Deutschland zu schaffen – zum Nutzen von Unternehmen, Investoren und der gesamten Gesellschaft.

Dr. Andreas Zanner, Rechtsanwalt und Partner bei

© Andreas Zanner

Co-Autor Dr. Andreas Zanner ist seit 1991 Rechtsanwalt und seit 1997 Partner bei CMS Hasche Sigle in Frankfurt am Main. Als Head of Equity Capital Markets berät er börsennotierte Gesellschaften, emissionsbegleitende Banken und andere Kapitalmarktteilnehmer in kapitalmarkt- und gesellschaftsrechtlichen Fragen. Gemeinsam mit seinem Team hat er mehr als 60 Börsengänge aus verschiedensten Branchen als Rechtsberater begleitet. Darüber hinaus bereitet er viele junge Unternehmen auf ihrem Weg an den Kapitalmarkt vor.

 

 

Über den Kapitalmarktblog:

Hier schreiben die Kapitalmarktexperten der Quirin Privatbank über die deutsche Wirtschaft und alles, was den heimischen Mittelstand bewegt. Das erfahrene Team der Quirin Privatbank hat die Entwicklungen rund um die Mittelstandsfinanzierung immer im Blick und zeigt auf, welche alternativen Finanzierungsformen für KMU interessant sind.

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