Viele Anleger achten auf nachhaltige Investments und bevorzugen Unternehmen, die sich ihrer ESG-Risiken bewusst sind und entsprechend agieren. Da ist es naheliegend, dass auch die Klimastrategie auf der Hauptversammlung zur Abstimmung kommt. Wie Unternehmen die „Say on Climate“-Abstimmung vorbereiten und erfolgreich durchführen.
Von Dr. Martina Therese Kiehas
„Say on Climate“ ist in dieser Hauptversammlungssaison zum vielleicht meistdiskutierten Thema der IR-Community geworden. Mit der GEA Group AG hielt im April 2024 das erste Unternehmen der DAX-Indexfamilie einen „Say on Climate“ („SoC“) ab. Wie auch bei der jüngst vorgestellten Durchführung von Perception Studies stellt das heute betrachtete Thema SoC eine weitere Überschneidungsfläche zwischen der Investor Relations-Arbeit einerseits und ESG-Aufgaben andererseits dar.
Die bisherige Verbreitung von „Say on Climate“
Die SoC-Initiative wurde erst 2020 durch Hedgefondsmanager und „The Children’s Investment Fund“-Gründer Chris Hohn gegründet. Die meisten Unternehmen, die bisher eine SoC-Abstimmung auf ihrer Hauptversammlung abgehalten haben, sind in Branchen tätig, die mit hohen Treibhausgasemissionen in Verbindung gebracht werden. Dazu gehören beispielsweise der Energiesektor oder die Immobilienbranche. Eine Sonderrolle spielt der Finanzsektor, denn auch einige dieser Unternehmen, wie Amundi oder Credit Suisse, führen SoC durch.
Global gab es 2023 allerdings weniger SoC-Abstimmungen als im Jahr davor (2022: 43, 2023: 28). Dies dürfte daran liegen, dass auch die Pioniere dieser Bewegung eher im mehrjährigen Rhythmus über ihre Klimastrategie abstimmen lassen dürften.
Abstimmungserfolg beruht auf konsequenter Vorbereitung
In Deutschland in diesem Jahr mit der GEA Group AG das erste Mitglied der DAX-Indexfamilie über seine Klimastrategie abstimmen lassen. Die Aktionäre stimmten mit dem herausragenden Ergebnis von 98,44 Prozent zu. GEAs „Klimaplan 2040“ umfasst die kurz-, mittel- und langfristigen Ziele zur Reduktion der Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette inklusive des Zeitplans, der Handlungsfelder und notwendigen Investitionen. GEAs Weg zu Netto-Null-Emissionen im Jahr 2040 basiert auf drei Säulen: Transformation der eigenen Betriebsabläufe (Scope 1 und 2), Transformation des Produktportfolios (Scope 3 nachgelagert) und Dekarbonisierung der Lieferkette (Scope 3 vorgelagert). Um die Dekarbonisierung der Standorte bis 2040 zu erreichen, rechnet die GEA Group AG mit Investitionen von 175 Millionen Euro.
Abstimmungsergebnis auf der Hauptversammlung abhängig von Aktionärsbasis und Profitabilität
Generell erhielten Unternehmen in ihren Abstimmungspunkten zu SoC hohe Zustimmungsquoten. Durchschnittlich lag diese im Hauptversammlungsjahr 2023 bei 89 Prozent und damit sogar etwas höher als im Vorjahr (87 Prozent). Laut einer Studie von Morningstar fiel die Unterstützung durch 25 institutionelle Investoren wie zum Beispiel BlackRock, Amundi oder DWS Investment jedoch von über 90 Prozent (2021) auf etwa 70 Prozent (2022 und 2023).
Für die Interpretation solcher Zahlen ist aus unserer Sicht wichtig, dass die Abstimmung immer nur das Stimmungsbild der aktuellen Aktionärsbasis einfangen kann. Besonders klimabewusste Investoren sind ggf. nicht investiert und können daher auf der Hauptversammlung gar nicht abstimmen. Andere sind von einer als überambitioniert empfundenen Klimastrategie ggf. abgeschreckt und daher ebenfalls nicht vertreten.
Darüber hinaus befinden sich Unternehmen in vielen Fällen (zumindest kurzfristig) in einem Spannungsfeld zwischen Profitabilität und Nachhaltigkeit. Wenn ein ambitionierter Klimaplan dem Betrieb zum direkten wirtschaftlichen Vorteil gereicht, werden Investoren eher hohe Zielsetzungen unterstützen. Stehen Nachhaltigkeit und Profitabilität (kurzfristig) in Konflikt miteinander, führt das zu Herausforderungen. Hier sind umfangreiche Erläuterungen und entsprechende Transparenz, Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg und Unterstützung durch den Vorstand unabdingbar.
„Say on Climate“ auf der Hauptversammlung als Element der nachhaltigen Unternehmensführung
Unternehmen, die sich für das Konzept interessieren, sollten aus unserer Sicht daher vor allem die folgenden Punkte beachten
- Strategie first, Abstimmung second: Nur mit einer gut ausgearbeiteten, transparenten und wissenschaftlich bestätigten Klimastrategie können Sie ein aussagekräftiges Votum und hohe Zustimmung Ihrer Aktionäre auf der Hauptversammlung erwarten. SoC sollte daher nur für diejenigen Unternehmen ein Thema sein, die ihre Hausaufgaben bei der Klimastrategie bereits erledigt haben, was die Unterstützung durch den Vorstand voraussetzt.
- Zustimmung testen: Die intensive Beschäftigung mit Best-Practice-Beispielen sowie den ESG-Anforderungen von Stimmrechtsberatern und wichtigen institutionellen Investoren vermittelt Ihnen einen Eindruck, ob Ihr Klimaplan bereits zustimmungsfähig ist. Für eine bestmögliche Vorbereitung empfehlen wir eine gut konzeptionierte Perception-Studie, mit der Sie die Wahrnehmung des Status Quo und die Erwartungen wesentlicher Kapitalmarktakteure präzise einfangen.
- Kommunikation vorbereiten: Geben Sie dem Klimaplan in der laufenden IR-Arbeit und auf Corporate-Governance-Roadshows im Vorfeld der Hauptversammlung ausführlich Raum. Seien Sie auf viele Fragen rund um seine Stringenz, aber auch zu den wirtschaftlichen Effekten und den verbundenen Ertragschancen und Kosten vorbereitet.
- Fortlaufende Berichterstattung: Ein überzeugendes Votum ist Startschuss, nicht Schlusspunkt. Bereiten Sie sich darauf vor, Ihren Investoren eine laufende, transparente Berichterstattung zu den Schlüsselindikatoren Ihrer Klimastrategie bereitzustellen. Diese werden Transparenz einfordern, um den Fortschritt Ihrer Aktivitäten nachvollziehen zu können.
- Alle Jahre wieder: Abstimmungen über Änderungen an Ihrer Strategie oder auch nur Berichte über Fortschritte sind künftig Pflicht. Die Entscheidung, Ihre Klimastrategie zur Abstimmung zu stellen, setzt die Bereitschaft voraus, dies im mehrjährigen Turnus zu wiederholen.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass ein SoC auf einer Hauptversammlung einen wichtigen Baustein und Ansatz zur Förderung nachhaltiger Unternehmenspraktiken darstellen kann. Weil dieses Thema sowohl ESG als auch Investor Relations, Legal und Strategie betrifft, sollte es bereichsübergreifend angegangen werden. Kontaktieren Sie uns, wenn Sie Fragen haben, wie Sie Ihre ESG-Strategie und Ihre Investor Relations-Arbeit optimal aufeinander abstimmen können.
Dr. Martina Therese Kiehas ist Senior ESG-Beraterin bei ALLINCAPITALS. Sie beschäftigt sich seit 2013 akademisch und beruflich mit Nachhaltigkeit und Kommunikation. Nach ihrem Studium an der FH St. Pölten und der Universität Aarhus/Dänemark promovierte sie mit einer Arbeit zu Marketingethik und Tierwohl in der dänischen Agrarindustrie. Sie war als Marketingmanagerin einer Investmentgesellschaft für nachhaltige Kapitalanlagen und als Projektleiterin für ein NGO in Brüssel tätig. Zuletzt beriet sie im Auftrag des dänischen Außenministeriums Unternehmen aus der DACH-Region bei Direktinvestitionen. Martina Kiehas ist Österreicherin und hat in Dänemark, den USA, Belgien und Deutschland gelebt und gearbeitet. Neben Deutsch spricht sie fließend Englisch und Dänisch.
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