Auf europäischer Ebene wird seit geraumer Zeit der Listing Act vorangetrieben, mit welchem die europäischen Rahmenbedingungen der Kapitalmärkte verbessert werden sollen. Mit einem Eckpunktepapier, im Juni vergangenen Jahres begonnen, liegt nun auch der Regierungsentwurf eines nationalen Zukunftsfinanzierungsgesetzes vor. Wie sind die geplanten Maßnahmen aus Emittentensicht zu bewerten? Ein Gastbeitrag von Dr. Thorsten Kuthe.
Ziele des Zukunftsfinanzierungsgesetzes sind die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die Förderung noch junger und schnell wachsender Unternehmen und die Erleichterung marktbasierter Finanzierung am deutschen Kapitalmarkt.
Vereinfachter Zugang zum Kapitalmarkt
Bei Start-Ups – insbesondere im Falle starker Einbindung der Gründer – oder bei Familienunternehmen besteht im Zusammenhang mit einem avisierten Börsengang häufig die Angst des Kontrollverlusts. Dieser Angst wird in vielen Rechtsordnungen mit Mehrstimmrechtsaktien begegnet, welche in Deutschland nicht mehr ausgegeben werden dürfen. Mehrstimmrechtsaktien gewähren einzelnen Personen bei gleicher Kapitaleinlage ein größeres Stimmgewicht. Um diesen Standortnachteil zu beseitigen, sollen Mehrstimmrechtsaktien wieder eingeführt werden. Maximal soll dabei ein Stimmrecht von bis zu 10:1 ermöglicht werden. Ziele des Zukunftsfinanzierungsgesetzes sind die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die Förderung noch junger und schnell wachsender Unternehmen und die Erleichterung marktbasierter Finanzierung am deutschen Kapitalmarkt. erden. Der Schutz der übrigen Aktionäre ist jedoch im Blick des Gesetzgebers. Die Mehrstimmrechte sollen verfallen, soweit die Gesellschaft mindestens in den Freiverkehr einbezogen ist, und die Aktien daraufhin übertragen werden. Daneben sollen die Mehrstimmrechte einer zeitlichen Beschränkung im Falle eines Börsengangs oder der Einbeziehung in den Freiverkehr unterliegen, die zwar durch Beschluss der Hauptversammlung verlängert werden kann, jedoch in keinem Fall 20 Jahre überschreitet. Von Investorenseite wird dieser Vorschlag allerdings kritisch gesehen – nur sehr „starke“ Emittenten werden das wohl im Rahmen eines Börsengangs durchsetzen können.
Bislang ist bei Börsengängen im regulierten Markt stets gesetzt, dass für die Zulassung ein sogenannter Mitantragsteller erforderlich ist. Dieser muss eine Bank oder ein sonstiges Kreditinstitut sein, was mit weiteren Kosten für die Emittenten verbunden ist. Der Gesetzentwurf enthält die Möglichkeit einer Ausnahme von diesem Erfordernis. Jedoch nur in den nicht gehobenen Segmenten, welche Zusatzanforderungen verlangen (der Prime Standard an der Frankfurter Wertpapierbörse ist ein solches gehobenes Segment). Im gleichen Zuge soll die Mindestmarktkapitalisierung für einen Börsengang von derzeit EUR 1,25 Mio. auf EUR 1 Mio. herabgesetzt werden. Diese Maßnahmen sollen die Eintrittsschwelle in den deutschen Kapitalmarkt herabsetzen und kleinen Unternehmen die Möglichkeit der Eigenkapitalaufnahme geben. Praktische Relevanz: nicht vorhanden.
Abseits des klassischen Börsengangs haben in den vergangenen Jahren SPAC-Transaktionen, insbesondere in den USA, an Popularität gewonnen. Kern der Transaktion ist die Kapitalaufnahme im Wege eines IPO und dann später mit diesen Mitteln der Kauf einer nicht börsennotierten Gesellschaft. Hierbei gibt es international bestimmte Strukturen, die mit der deutschen AG nicht umsetzbar sind, etwa die Möglichkeit bei Ablehnung der Zielgesellschaft die Aktien zurückzugeben. Daher sind die wenigen echten SPACs am deutschen Kapitalmarkt bislang ausländische Rechtsformen. Um dem Bedürfnis nach einem solchen Weg nachzukommen, hat sich der Gesetzgeber entschieden, eine deutsche Börsenmantelaktiengesellschaft einzuführen. Mit dieser speziellen Gesellschaftsform soll es ermöglicht werden, eine leere Gesellschaft notieren zu lassen, welche in den folgenden zwei Jahren die Möglichkeit hat, eine bestimmte Gesellschaft aufzukaufen und damit mittelbar an die Börse zu bringen. Problem: Der kurze SPAC-Boom ist schon wieder vorbei. Aber es wird auch wieder die Zeit für diese Transaktionen kommen und dann ist das eine interessante Gestaltung.
Förderung von jungen Unternehmen durch steuerliche Anpassungen
Viele Start-Ups haben Schwierigkeiten bei der Gewinnung qualifizierten Personals aufgrund der meist angespannten Liquiditätssituation. Um das Unternehmen operativ nicht zu belasten, bedienen sie sich am Instrument der Mitarbeiterbeteiligung. Bislang ist die Mitarbeiterbeteiligung für Arbeitnehmer jedoch steuerlich nicht sonderlich vorteilhaft, was die Wirkung dieses Instruments deutlich schmälert. Daher plant der Gesetzgeber zum einen, den Steuerfreibetrag bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung von derzeit EUR 1.440 pro Jahr auf EUR 5.000 anzuheben. Zum anderen soll die sogenannte Dry-Income-Problematik entschärft werden. Demnach stehen begünstigte Arbeitnehmer derzeit vor dem Problem, dass grundsätzlich im Zeitpunkt der Gewährung der Beteiligung ein sogenannter Zufluss im steuerlichen Sinne vorliegt, wodurch die Besteuerung ausgelöst wird. Der Arbeitnehmer muss die dann entstehenden Steuern aus seinem übrigen Vermögen begleichen, da er die Beteiligung in dem Zeitpunkt meist nicht veräußern darf (und es dem Prinzip der Mitarbeiterbeteiligung widerspräche, wenn der Arbeitnehmer sofort zum Teilverkauf der Beteiligung gezwungen wäre). Der Gesetzgeber plant daher, die Realisierungstatbestände der Besteuerung für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis weiter besteht, auf 20 Jahre anzuheben, und unter gewissen Voraussetzungen eine Besteuerung erst im Falle der tatsächlichen Veräußerung zuzulassen.
Modernisierung der Rahmenbedingungen am deutschen Kapitalmarkt
Ist die Gesellschaft dann börsennotiert, sollen diverse Anpassungen das being public erleichtern. Die allermeisten Kapitalmaßnahmen erfolgen als sogenannter 10%er schnell, ohne Bezugsrecht und ohne Prospekt. Dieser „10%er“ wird zum „20%er“ ausgeweitet. Gleiches gilt für die Möglichkeit, Aktienoptionen auszugeben – das soll auch künftig in Höhe von 20% statt bislang 10% möglich sein.
Eine tiefgreifende Systemänderung soll das Recht der Anfechtung von Kapitalmaßnahmen mit Bezugsrechtsausschluss erfahren, wie etwa Sachkapitalerhöhungen. Über den Wert der Gegenleistung bzw. den Wert der auszugebenden Aktien soll man sich nicht mehr im Anfechtungsprozess streiten und so die Transaktionen schneller und rechtssicherer umgesetzt werden können. Statt eines Anfechtungsrechts soll den Aktionären ein Wertverwässerungsschutz in Form eines Barausgleichs gewährt werden. Die Ermittlung dieses Barausgleichs soll im Spruchverfahren erfolgen. Damit soll der teils aufwendige Prozess der Bewertung einer unangemessen niedrigen Leistung auch dem Freigabeverfahren entzogen und in das Spruchverfahren überführt werden. Ausgenommen von dieser Konstruktion ist der zuvor beschriebene vereinfachte Bezugsrechtsausschluss beim heutigen 10%er und künftigen 20%er. Grund: Die Ermittlung des angemessenen Börsenkurses erfolgt im Zeitpunkt des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses nach anderen Grundsätzen als im Spruchverfahren zur Ermittlung der Wertverwässerung. Bei dem Barausgleich besteht die Besonderheit, dass sich die Gesellschaft dazu entscheiden kann, diesen Ausgleich von dem Einleger erstatten zu lassen. Im Hinblick auf die Vorstandshaftung wäre es wohl verbreitete Praxis geworden, dies im Beschluss über die Kapitalerhöhung auch zu nutzen. Dies hätte einen erheblichen Nachteil für Sacheinleger dargestellt, da diese dadurch neben dem ohnehin schon bestehenden Risiko der Überbewertung der Sacheinlage und der damit verbundenen Differenzhaftung für eine Fehlbewertung der Gesellschaft hätten aufkommen müssen (welche für den Einleger in aller Regel kaum überschaubar und kalkulierbar sein dürfte). Entsprechende Transaktionen wären dadurch deutlich unattraktiver geworden. Der Regierungsentwurf enthält daher aufgrund einer Vielzahl kritischer Stimmen zum Referentenentwurf die Möglichkeit, den Barausgleich durch die Ausgabe von Aktien zu ersetzen. Die Ausgabe dieser Aktien kann aus eigenen Aktien der Gesellschaft erfolgen oder im Wege einer Kapitalerhöhung durch die Einlage der Ansprüche auf Barausgleich gegen die Gesellschaft. Heißt: Später wird das Austauschverhältnis angepasst.
Wie schon mit Einführung des Gesetzes über elektronische Wertpapiere angekündigt, sollen mit dem vorliegenden Gesetz elektronische Aktien eingeführt werden. Umfasst sind sowohl Inhaber- als auch Namensaktien. Jedoch ist es nur Namensaktien zugestanden, diese auch als „echtes“ Kryptowertpapier zu begeben. Inhaberaktien ist diese Möglichkeit verwehrt, womit sie auf die Eintragung in ein zentrales Sammelregister beschränkt sind und keine Blockchain-basierte Registerführung in Anspruch nehmen können. Die Einführung elektronischer Inhaberschuldverschreibungen als Vorreiter der elektronischen Wertpapiere im deutschen Raum im Jahr 2021 wird damit insgesamt als geglückt angesehen. Für Anleger ergeben sich dadurch kaum relevante Änderungen. Der Handel mit den elektronischen Wertpapieren erfolgt nahezu identisch zu dem klassischen Handel bislang, welcher weitestgehend digitalisiert ist. Emittenten stehen in den kommenden Jahren jedoch vor der Frage, ob sie weiter Aktien im klassischen Sinne ausgeben, ihre begebenen Aktien in elektronische Aktien wandeln oder schon bei einer erstmaligen Aktienausgabe elektronische Aktien anbieten wollen.
Insgesamt ist der Entwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes zu begrüßen. Der Gesetzgeber hat vereinzelt auf die vorgebrachte Kritik am vorangegangenen Referentenentwurf reagiert und Anpassungen vorgenommen. Der Finanzstandort Deutschland wird durch das Gesetz attraktiver werden, der große Wurf ist es jedoch nicht.
Dr. Thorsten Kuthe, RA, ist Partner bei Heuking Kühn Lüer Wojtek in Köln. Er berät Unternehmen im Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht/M&A. Seine Tätigkeitschwerpunkte liegen im Bereich der Unternehmensfinanzierung sowie kapitalmarktbezogenen Compliance-Beratung.