Der Weg eines Unternehmens an die Börse gleicht einer Filmproduktion. Bevor ein Blockbuster auf die große Leinwand kommt, wird er einem Testpublikum gezeigt. In der Finanzwelt nennt sich das „Pilot Fishing“ – ein Screening mit ausgewählten Investoren, um zu prüfen, ob die Equity Story überzeugt. Doch wie beim Film entscheidet nicht nur das Drehbuch, sondern auch das Publikum über den Erfolg.
Die Dramaturgie eines IPOs
Ein Börsengang ist mehr als Zahlen und Prospekte. Es ist eine Beziehungskomödie mit klarer Dramaturgie: Erstkontakt, Interesse, Vertrauen – und schließlich die Zeichnung der Aktie. Doch wie beim Film reicht es nicht, einfach Feedback einzuholen. Entscheidend ist, wer befragt wird. Das Publikum muss zur Zielgruppe passen.
Die Aktionärsstruktur: Der ideale Cast zum Investoren finden
Ein Blick auf erfolgreiche Mittelstandsunternehmen im SDAX oder MDAX zeigt ein bewährtes Ensemble:
- Institutionelle Investoren: ca. 60 bis70%
(z. B. Fonds, Versicherungen, Pensionskassen) - Privatanleger: ca. 15 bis 25%
(häufig über Direktbanken oder Neobroker) - Ankeraktionäre / Gründer / Management: ca. 5 bis15%
- Staatliche oder strategische Investoren: je nach Branche und Region 0 bis 10%
Dieser Mix bringt Stabilität, Liquidität und Diversität – und erfüllt die Kriterien für die Indexaufnahme: Streubesitz, Handelsvolumen und Marktkapitalisierung im Free Float. Doch wie erreicht man dieses Publikum?
Market Sounding: Die Probevorführung
In der Market-Sounding-Phase sprechen Banken mit 10 bis 20 handverlesenen Investoren mit dem Ziel herauszufinden, ob das Geschäftsmodell verstanden wird, ESG-Aspekte überzeugen und eventuell ein Ankerinvestor Interesse zeigt. Doch nicht jede Bank erreicht jede Zielgruppe.
Die Casting-Agenturen: Banken & MiFID II
Seit MiFID II ist der Kapitalmarkt fragmentierter denn je. Research und Vertrieb sind getrennt, Leistungen müssen einzeln bepreist werden. Die Folge:
- Große Investmentbanken bedienen vor allem Tier-1-Investoren (große Fonds, Pensionskassen und Versicherungen)
- Nur spezialisierte Investment- und Privatbanken erreichen überhaupt mittelgroße Fonds im Tier 2 und Tier 3
- Retail-Plattformen der Börsen aber auch Neobroker sprechen Privatanleger an
Daher aufgemerkt: Wer nur mit einem Bankentyp arbeitet, riskiert ein einseitiges Orderbuch, was geringe Streuung, schwache Liquidität und verpasste Indexchancen bedeutet. Investoren kommen in den seltensten Fällen auf Basis des Angebots von allein, jede Gruppe gilt es daher, gezielt anzusprechen und abzuholen.
Schweden: Das skandinavische Erfolgsmodell – ein Neuer Markt 4.0
Ein Blick nach Schweden mit gleich drei aktiven Börsenplätzen wie dem NASDAQ Nordic, Nordic Growth Market sowie der Spotlight Stock Exchange zeigt, wie es besser geht, und einst auch der Neue Markt der Deutsche Börse vorgelebt hat. Dort erhalten Privatanleger und semi-professionelle Investoren bei IPOs regelmäßig 20 bis 30% der Allokation. Digitale Zeichnungsplattformen, transparente Kommunikation und ein aktives Retail-Publikum machen es möglich. In Deutschland hingegen bleiben Retail-Investoren oft außen vor – nicht aus Desinteresse, sondern wegen fehlender Zugänge.
Der richtige Mix: Investoren finden mit Multiplex statt Nischenkino
Ein erfolgreicher IPO braucht einen Investmentbanken-Mix, echte synergetische Konsortien:
- Großbanken für große institutionelle Anker
- spezialisierte Investment- und Privatbanken für Relevanz bei kleineren Asset Managern, Versicherungen und Pensionskassen
- Retail-Kanäle für Sichtbarkeit und nötige Breite
Nur so lässt sich jede Investorengruppe gezielt ansprechen – mit der richtigen Sprache, dem passenden Kanal und dem nötigen Zugang.
Fazit: Kein Film wird ein Hit, wenn er am Publikum vorbeigeht
Ein IPO ist kein Selbstläufer. Wer frühzeitig mit dem richtigen Publikum probt, erfährt, was funktioniert – und was nicht. Der richtige Investorenmix ist kein Zufall, sondern das Ergebnis strategischer Planung. Wer heute zu einseitig vorgeht, zahlt morgen mit Illiquidität, verpassten Indexchancen – und einem Publikum, das gar nicht weiß, dass der Film läuft.
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