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Kappungsgrenze: Hemmschuh für den deutschen Kapitalmarkt?

von Holger Clemens Hinz
Kein Fortkommen: Die Kappungsgrenze im DAX bremst den Aufstieg erfolgreicher Aktien an der Börse

Der Software-Konzern SAP mit Sitz in Walldorf droht an seinem eigenen Erfolg zu scheitern – zumindest in Bezug auf den Aktienindex DAX. Die immer weiter steigende Börsenbewertung des Unternehmens übertrifft das vorgegebene Maximalgewicht von 15 Prozent in dem Index regelmäßig. Die Kappungsgrenze könnte ein Grund für SAP sein, den DAX zu verlassen. Das Signal für den deutschen Kapitalmarkt wäre verheerend.

Von Holger Clemens Hinz

Es ist wieder Deutsches Eigenkapitalforum in Frankfurt am Main, die Leitmesse der Deutsche Börse in vollen Hallen. Jedoch trügt ein wenig der Schein, es liegt ein Schatten über dem deutschen Kapitalmarkt. Denn die Erfolgreichsten werden im deutschen Leitindex DAX ausgebremst. Das droht aktuell SAP, Europas wertvollstem Tech-Unternehmen. Mit einem Börsenwert von 267 Milliarden Euro und einem Kursplus von fast 60 Prozent seit Jahresbeginn hat SAP die Kappungsgrenze des DAX von 15 Prozent bereits überschritten. Das Unternehmen wächst so stark, dass es an die Grenzen des deutschen Kapitalmarkts stößt. Dies ist nicht nur ein Problem für SAP, sondern offenbart grundsätzliche Schwächen des deutschen Kapitalmarkts.

Kappungsgrenze: Ein künstliches Hindernis

Die Deutsche Börse schreibt vor, dass kein Unternehmen mehr als 15 Prozent der Gesamtgewichtung des DAX ausmachen darf. Diese sogenannte Kappungsgrenze wurde erst im Frühjahr 2023 von 10 auf 15 Prozent angehoben – unter anderem, um Schwergewichte wie SAP länger im DAX halten zu können. Dennoch hat SAP als erstes Unternehmen diese neue Grenze überschritten.

Das Problem: Bei jeder regelmäßigen Überprüfung des DAX-Gewichts – die nächste findet am 20. Dezember statt – wird das Gewicht eines Unternehmens, das über der Grenze liegt, zurückgestuft. Für SAP bedeutet das konkret, dass Fonds und ETFs, die den DAX nachbilden, gezwungen sind, SAP-Aktien zu verkaufen. Diese Verkäufe sind unabhängig von der tatsächlichen Attraktivität der Aktie und können den Kurs belasten.

Für ein Unternehmen wie SAP, das weltweit agiert und auch an der New Yorker Börse notiert ist, stellt sich die Frage: Warum sich einer solchen Wachstumsbremse unterwerfen, wenn es anderswo freiere Bedingungen gibt?

Die Alternative: New York statt Frankfurt?

Das Beispiel des Industriegasunternehmens Linde zeigt, wohin diese Situation führen kann. Linde war jahrelang ein Schwergewicht im DAX, stieß aber ebenfalls mehrfach an die Kappungsgrenze. 2023 entschied sich das Unternehmen, die Deutsche Börse zu verlassen und seine Notierung ausschließlich an der New Yorker Börse fortzuführen. Dort gibt es keine Begrenzungen für das Gewicht eines Unternehmens im Index.

Die Folge: Linde konnte sich vollständig auf Wachstum und Kurssteigerungen konzentrieren, ohne durch regulatorische Einschränkungen ausgebremst zu werden. Die New Yorker Börse bietet zudem ein investorenfreundlicheres Umfeld mit höheren Bewertungen und größerer Liquidität. Für SAP könnte dieser Schritt ebenfalls attraktiv sein, zumal die USA nicht nur den weltweit größten Kapitalmarkt, sondern auch die dynamischste Investorenlandschaft bieten.

Was bedeutet das für Deutschland?

Ein weiterer Verlust eines Großkonzerns wie SAP wäre für den deutschen Kapitalmarkt ein herber Rückschlag. Bereits der Abgang von Linde hat gezeigt, dass Deutschland Schwierigkeiten hat, internationale Spitzenunternehmen langfristig im DAX zu halten. Der Leitindex gilt im internationalen Vergleich ohnehin als flach, da er viele kleinere Unternehmen umfasst und Schwergewichte wie SAP oder Siemens nur begrenzten Raum einnehmen dürfen.

Der Verlust von SAP würde nicht nur das Gewicht des DAX als Indikator für die deutsche Wirtschaft mindern, sondern auch ein fatales Signal senden: Wer groß, erfolgreich und international wettbewerbsfähig ist, findet in Deutschland keinen Platz. Diese Botschaft würde potenzielle Anleger und Unternehmen gleichermaßen abschrecken und den Standort langfristig schwächen.

Europäische Kapitalmarktunion: Jetzt handeln

Das deutsche und europäische Kapitalmarktumfeld steht vor einer grundlegenden Herausforderung. Die Debatten über eine Kapitalmarktunion ziehen sich seit Jahren hin, doch es fehlt an konkreten Umsetzungen. Eine vollständige Harmonisierung der Regeln für die Zulassung und Verbriefung von Wertpapieren in allen EU-Ländern ist dringend notwendig. Nur so können Unternehmen unabhängig von ihrem Sitz in Europa gleiche Bedingungen vorfinden.

Zugleich müssen regulatorische Hemmnisse wie die MiFID II abgeschafft werden. Diese Vorschriften, ursprünglich eingeführt, um die Transparenz und den Anlegerschutz zu erhöhen, haben den Handel mit Aktien unnötig verkompliziert und Liquidität vom Markt genommen. Deutschland und Europa können sich solche Hürden nicht länger leisten, wenn sie im internationalen Wettbewerb bestehen wollen.

Abschreckende Regulierung: Gefahr für eine neue Generation von Emittenten

Noch gravierender ist die Gefahr, dass die nächste Generation von Unternehmen Europa gar nicht mehr als Börsenstandort in Erwägung zieht. Start-ups und junge Unternehmen, die zunehmend von internationalen Venture-Capital-Investoren getragen werden, orientieren sich immer stärker an den USA oder Asien. Diese Märkte bieten nicht nur bessere Bewertungen und größere Liquidität, sondern auch weniger regulatorische Barrieren.

Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, droht Europa langfristig, den Anschluss zu verlieren. Statt als attraktiver Kapitalmarkt wahrgenommen zu werden, würde die EU lediglich ein Sprungbrett für Unternehmen bieten, die in reiferen Märkten langfristig Fuß fassen wollen. 

Fazit

Deutschland und Europa müssen dringend handeln, um den Kapitalmarkt für Unternehmen aller Größen attraktiv zu machen. Die Kappungsgrenze im DAX ist dabei nur ein Symptom eines tieferliegenden Problems: Der Kapitalmarkt ist überreguliert und bietet erfolgreichen Unternehmen keine langfristige Perspektive. Die vollständige Umsetzung der Kapitalmarktunion, einheitliche Regeln für Wertpapiere und die Abschaffung von MiFID II sind entscheidend, um einen liquiden und wettbewerbsfähigen Markt zu schaffen.

Nur so kann Europa verhindern, dass die erfolgreichsten Großkonzerne abwandern und neue Emittenten den europäischen Kapitalmarkt von vornherein meiden.

Über den Kapitalmarktblog:

Hier schreiben die Kapitalmarktexperten der Quirin Privatbank über die deutsche Wirtschaft und alles, was den heimischen Mittelstand bewegt. Das erfahrene Team der Quirin Privatbank hat die Entwicklungen rund um die Mittelstandsfinanzierung immer im Blick und zeigt auf, welche alternativen Finanzierungsformen für interessant sind.

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