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Von der Zähmung des Bürokratiemonsters

von Holger Clemens Hinz
Die Nachhaltigkeitsberichte der Unternehmen erweisen sich als Bürokratiemonster

ESG, Taxonomie, CSRD, ESRS und zuletzt Omnibus: Die kryptischen Abkürzungen und Begriffe stehen für die Regeln der EU zu verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichten, in denen Unternehmen ihren Einfluss auf die Umwelt, Gesellschaft und Belegschaft dokumentieren sollen. Damit hat der Gesetzgeber ein Bürokratiemonster geschaffen, das insbesondere kleinere Unternehmen überfordert – es hagelte Kritik aus der Wirtschaft. Mit der neuen Omnibus-Verordnung der Europäischen Kommission sollen nun vor allem KMU entlastet werden. Ist das realistisch?

Von Holger Clemens Hinz

Eigentlich sollten ab 2026 viele Mittelständler Nachhaltigkeitsberichte vorlegen. Zuvor waren bereits börsennotierte bzw. kapitalmarktorientierte Firmen sowie Großunternehmen zu den umfangreichen Berichten verpflichtet. Seit Langem bereiten sich die Unternehmen darauf vor, einige Firmen erstellen die Berichte sogar schon freiwillig. Denn die Berichte sollen nicht nur lästige Pflicht sein, sondern den Unternehmen selbst Mehrwert bieten und ihnen zum Beispiel dank dokumentierter Nachhaltigkeitsbemühungen den Weg zu Investoren- und Börsenkapital ebnen.

Doch die Umsetzung hat bei vielen Mittelständlern lediglich den Blutdruck in die Höhe getrieben. Die Europäische Union hat mit ihren Richtlinien, Berichtspflichten und der Taxonomie zu nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen ein Bürokratiemonster geschaffen, unter dem ganz besonders KMU leiden. Die Erhebung, Aufbereitung und Auswertung von großen Datenmengen – nicht nur im eigenen Betrieb, sondern auch bei Zulieferern und für Kunden – sowie die Erstellung der umfangreichen Berichte binden bei den KMU erhebliche Kapazitäten. Eigens Personal für die Nachhaltigkeitsberichterstattung einzustellen, können sich viele Mittelständler schlicht nicht leisten. Zudem betreten die berichtspflichtigen Unternehmen Neuland, denn noch gibt es kaum Erfahrungswerte, erprobte Tools und Klarheit in der Umsetzung. Eine entsprechende Daten-Infrastruktur und notwendige Prozesse müssen diese Unternehmen erst aufbauen.

EU und Bundesregierung kündigen Entlastung an

Zu Recht kamen viele Beschwerden von den Unternehmen und ihren Verbänden – und endlich bewegt sich was in der Politik. EU und die neue Bundesregierung haben bereits deutliche Bürokratie-Entlastungen zugesagt. Die Europäische Kommission hat im Februar zudem Vorschläge zur Vereinfachung der Berichtspflichten vorgelegt.

Die ersten vorgelegten Nachhaltigkeitsberichte nach den EU-Vorgaben verdeutlichen, wie nötig dies ist. In Europa umfasst der durchschnittliche Nachhaltigkeitsbericht eines Unternehmens 116 Normseiten. In Deutschland sind es sogar 148 Seiten, obwohl die Unternehmen darin ähnlich viele Themen bearbeitet haben. Ein wahrscheinlicher Grund dafür: Wirtschaftsprüfer gehen in ihren Anforderungen hierzulande anscheinend über die regulatorischen Vorgaben hinaus, um ganz sicher zu gehen. Damit ist der Nachhaltigkeitsbericht oft länger als der Lagebericht des Unternehmens in der Bilanz.

Vorgelegte Nachhaltigkeitsberichte belegen den Bürokratie-Wahnsinn

Erste Untersuchungen verdeutlichen den hohen Aufwand sowie die große Unsicherheit vieler Unternehmen darüber, wie die Berichtsrichtlinien nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) auszulegen sind.

So müssen Unternehmen zunächst selbständig bestimmen, welche der zehn vorgegebenen Themenbereiche des Nachhaltigkeitsberichts für sie relevant sind. Diese sogenannte Wesentlichkeitsanalyse hat dazu geführt, dass die Firmen über durchschnittlich sieben Themenbereiche berichten. Beispielsweise sind die Themen „Klimawandel“, „Arbeitskräfte des Unternehmens“ sowie „Unternehmensführung“ in nahezu jedem Bericht vertreten, auch Themen wie „Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft“ oder „Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette“ sind häufig aufgeführt. Sieben Prozent der untersuchten Unternehmen berichten sogar über alle zehn vorgegebenen Themenkomplexe, vereinzelt bearbeiten Unternehmen aber auch nur zwei davon. Schon das allein macht eine Vergleichbarkeit der Berichte schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

Bis zu 140 Einflussbereiche, mehr als tausend Datenpunkte

Zu den einzelnen Themen müssen die Unternehmen dann ihre Einfluss- Risiko- und Chancenbereiche, die sogenannten Impacts, Risks and Opportunities (IRO), für jeden Themenbereich bestimmen und analysieren. Dafür müssen in vielen Bereichen der Unternehmen zunächst Daten erhoben und ausgewertet werden. Im Durchschnitt bearbeiteten die Unternehmen 44 IROs, die Bandbreite reichte in den untersuchten Berichten jedoch von 10 bis zu 140 IROs. Die Folge: Der Umfang der Berichte schwankt zwischen 41 und 283 Seiten und mit ihnen auch die Zahl der Datenpunkte, die abgefragt werden müssen.

Der Mittelständler Follmann Chemie, ein Unternehmen, das schon seit 25 Jahren freiwillig Nachhaltigkeitsberichte erstellt, berichtet in der WirtschaftsWoche von 1157 Datenpunkten, die erhoben und ausgewertet müssen, um unter anderem Angaben darüber zu machen, wie viel das Follmann-Geschäft mit Beschichtungen, Farben und Klebstoffen zur Wüstenbildung beiträgt, ob in seiner Lieferkette Sklaven beschäftigt werden und ob Tierarten bedroht oder die Rechte indigener Völker betroffen sind. Ein anderer Mittelständler mit rund einer Milliarde Umsatz, der durchaus viel für die Nachhaltigkeit seines Unternehmens getan hat, spricht von fünf Vollzeitstellen und einem Kostenaufwand von einer Million Euro im Jahr für die Erstellung des Berichts. Die Beispiele illustrieren, dass der Aufwand für die Nachhaltigkeitsberichte in den Unternehmen sehr unterschiedlich ausfällt, aber insgesamt viel zu hoch ist.

Es fehlen Personal und Geld für Nachhaltigkeitsberichte

Am mangelnden Willen der Unternehmen scheitert die Energie- und Klimawende offenbar nicht, viele wollen nachhaltig wirtschaften. Zudem fürchten sie schlechtere Finanzierungskonditionen, wenn das Unternehmen in den Augen der Kreditgeber nicht nachhaltig genug wirtschaftet. Denn Investoren erwarten bei Finanzierungsrunden Klarheit über die ESG-Bemühungen der Unternehmen, um die Risiken – etwa für einen Anleihe- oder Aktienkurs – möglichst genau zu bewerten. Da ist es hilfreich, wenn die EU mit dem sogenannten Omnibus-Paket die Berichtspflichten vor allem für kleine und mittlere Unternehmen deutlich vereinfacht und den Verwaltungsaufwand für KMU um 35 Prozent reduziert. Auch sollen jene Unternehmen, die bislang noch keinen Nachhaltigkeitsbericht anfertigen müssen, zwei zusätzliche Jahre Aufschub bekommen. Insgesamt soll die Wirtschaft dadurch von Verwaltungskosten in Höhe von 6,3 Milliarden Euro befreit werden.

Weil die EU-Regeln zu Nachhaltigkeitsberichten bislang nicht in deutsches Recht überführt wurden, arbeiten sich insbesondere KMU an den oft noch diffusen Vorgaben aus Brüssel ab. Nach den katastrophalen Erfahrungen mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, dem anderen Bürokratiemonster, das die Ampel-Regierung in Deutschland noch vor der Ausgestaltung und Verabschiedung auf EU-Ebene durchboxte, ist daher eine Reduktion der Berichtspflichten eine gute Nachricht. Inzwischen will die neue Bundesregierung auch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz abschaffen, in der EU wird ebenfalls darüber nachgedacht.

Die EU-Kommission tut daher gut daran, die Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit deutlich zu reduzieren, bevor auch die Parlamente der Mitgliedsstaaten umfangreiche Berichtsnormen zum Gesetz erlassen. Offenbar haben Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihre Mitstreiter eingesehen, dass die umfangreichen bürokratischen Hürden mittlerweile ein ernstzunehmender Wettbewerbsnachteil für die Europäische Union sind. Es ist von der Leyen zu wünschen, dass sie sie sich gegen die Regulierungswut einiger Fraktionen im EU-Parlament durchsetzen kann. Die deutsche Bundesregierung jedenfalls dürfte das Vorhaben nach Kräften unterstützen.

Über den Kapitalmarktblog:

Hier schreiben die Kapitalmarktexperten der Quirin Privatbank über die deutsche Wirtschaft und alles, was den heimischen Mittelstand bewegt. Das erfahrene Team der Quirin Privatbank hat die Entwicklungen rund um die Mittelstandsfinanzierung immer im Blick und zeigt auf, welche alternativen Finanzierungsformen für KMU interessant sind.

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