Home Finanzierung Wachstumschancengesetz: Richtiges Signal, aber knapp bemessen

Wachstumschancengesetz: Richtiges Signal, aber knapp bemessen

von Holger Clemens Hinz
Wachstumschancengesetz, KMU Kapitalmarkt Mittelstandsfinanzierung IPO Börse

Der deutsche Mittelstand hofft auf eine spürbare Entlastung und Investitionsimpulse durch das Wachstumschancengesetz, das sich derzeit im Gesetzgebungsprozess befindet. Tatsächlich könnte das Gesetz die Unternehmen um sieben Milliarden Euro pro Jahr entlasten. Doch selbst das könnte noch zu wenig sein.

von Holger Clemens Hinz

Nach Monaten zunehmender Kritik waren Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner sichtlich froh, auf der Tagung der Bundesregierung auf Schloss Meseberg Ende August die Eckpunkte des Wachstumschancengesetzes verkünden zu können. Bis 2028 will die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft um jährlich sieben Milliarden Euro entlasten. Bundeskanzler Scholz sprach davon, dass die Bundesregierung die „Investitionsbremsen lösen“ wolle. Nun befindet sich das Wachstumschancengesetz im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren. Die deutschen Unternehmen warten dringend auf die nötigen Entlastungen, doch auch die Kritik am Gesetz reißt nicht ab. 

Der Maßnahmenkatalog umfasst 50 Einzelmaßnahmen, unter anderem steuerliche Erleichterungen und Investitionsprämien. Doch Ökonomen und Mittelstandsverbände warnen vor falschen Anreizen, parlamentarischer Verwässerung im Gesetzgebungsverfahren und einem insgesamt zu geringen Volumen der Maßnahmen. Worum geht es?

Steuervorteile und Subventionen für den Mittelstand

In keinem Land Europas zeigt sich die Konjunkturentwicklung so schwach wie in Deutschland. Verbraucher und Unternehmen leiden unter hoher Inflation und damit steigenden Kosten, den hohen Zinsen, die Investitionen verteuern und Amortisationszeiträume verlängern, sowie zunehmend strenger werdenden Umweltauflagen und den Folgekosten der Energiewende. Zudem ist die konjunkturelle Lage bereits angespannt und die Aussichten sind düster. Aus diesem Grund haben insbesondere die Unternehmen aus dem Mittelstand Entlastungen gefordert, um die vielfältigen Herausforderungen meistern zu können. Die KMU benötigen diese besonders dringend, weil sie stärker als Großunternehmen vom Fachkräftemangel sowie der Zurückhaltung der Banken bei der Vergabe von Unternehmenskrediten betroffen und die Alternativen zum Bankkredit für sie schwerer zugänglich sind. Zudem ist die Liquidität vieler KMU derzeit knapp bemessen und der Zugang zum Kapitalmarkt erschwert.

Das Wachstumschancengesetz der Ampel-Koalition soll daher Unternehmen spürbar entlasten und die Voraussetzungen für Investitionen verbessern. Die wichtigsten Maßnahmen sehen Folgendes vor: 

Investitionsprämie

Unternehmen, die in Klimaschutz investieren, können 15 Prozent einer Investition und bis zu 30 Millionen Euro als Super-Steuerabschreibung im Zeitraum von 1.3.2024 bis 1.1.2030 geltend machen. Ausgenommen ist die Neuanschaffung oder die Umstellung von Produktionsanlagen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Von der Steuerabschreibung profitieren daher vor allem Investitionen, die den Energieverbrauch senken und mit erneuerbaren Energien arbeiten. Die Abschreibung soll unabhängig von der Gewinnsituation der Unternehmen möglich sein. 

Abschreibungen im Wohnungsbau

Neue Wohngebäude, deren Baubeginn ab dem 1. Oktober 2023 und innerhalb eines Zeitraums von sechs Jahren erfolgt, dürfen Bauherren mit sechs Prozent des Kaufpreises pro Jahr steuerlich abschreiben. Bislang ist nur eine jährliche Abschreibung von drei Prozent möglich. Die erhöhte Abschreibung soll die im historischen Rekordtempo gestiegenen Bauzinsen teilweise ausgleichen und so auch den unter einer Insolvenzwelle leidenden Bauträgern und Projektentwicklern helfen.

Schnellere Abschreibung von Wirtschaftsgütern

Die Grenze für den Anschaffungspreis geringwertiger Wirtschaftsgüter soll von 800 auf 1000 Euro steigen. Dadurch können Betrieben noch mehr Anschaffungen für das Jahr des Kaufs komplett abschreiben. Weit wichtiger dürfte jedoch die befristet wieder eingeführte degressive AfA, also die steuerliche „Absetzung für Abnutzung“ sein. Durch die degressive AfA können Investitionen in „bewegliche Güter“ wie Maschinen, Werkzeuge oder Fahrzeuge in den ersten Jahren dank höherer Abschreibungen die Steuerlast der Unternehmen senken. Das macht Investitionen unter dem Strich für die Unternehmen günstiger. Die degressive AfA soll bis Dezember 2024 gelten und die Unternehmen jährlich um zwei Milliarden Euro entlasten.

Verlustverrechnung 

Während der Corona-Pandemie hatte die Bundesregierung die steuerwirksame Verrechnung von aktuellen Verlusten mit Gewinnen der Vorjahre ausgeweitet. Künftig sollen Unternehmen sogar 75 Prozent der Verluste über vier Jahre mit Gewinnen verrechnen dürfen, bisher hatte die Grenze dafür bei 60 Prozent gelegen. Dieser Schritt soll die angespannte Liquiditätslage bei den Unternehmen verbessern und die Wirtschaft jährlich um 1,6 Milliarden Euro entlasten. 

Forschungsförderung

Der förderfähige Anteil der Kosten einer Auftragsforschung soll von 60 auf 70 Prozent steigen. Zudem wird die Bemessungsgrundlage, also die zu berücksichtigenden förderfähigen Forschungs- und Entwicklungsausgaben von vier auf zwölf Millionen Euro erhöht. Damit sind bei einem Zuschuss von 25 Prozent künftig Fördergelder von bis zu drei Millionen Euro pro Unternehmen möglich.

Steuervereinfachung und Bürokratieabbau

Personengesellschaften sollen mehr Optionen bei der Besteuerung ihrer Gewinne erhalten. Dadurch will die Bundesregierung verhindern, dass diese Unternehmen höhere Steuern zahlen als Kapitalgesellschaften. Mit weiteren Maßnahmen will die Regierung das Steuersystem weiter vereinfachen und Bürokratie abbauen, beispielsweise durch digitale Steuermeldungen und weniger Berichtspflichten.

In Summe soll das Wachstumschancengesetz der Wirtschaft Entlastungen von 32 Milliarden Euro über einen Zeitraum von vier Jahren bescheren. Doch noch vor den Beratungen im Finanzausschuss hagelt es deutliche Kritik an dem Vorhaben, obwohl – darin sind sich die meisten Kommentatoren einig – die Mehrheit der Maßnahmen als grundsätzlich richtig gelobt werden. 

Wachstumschancengesetz bietet zu wenig, vor allem für KMU

Der Hauptkritikpunkt: Die Entlastungen aus dem Gesetz würden bei weitem nicht ausreichen. Zum Beispiel steigt zum Jahreswechsel der CO2-Preis pro Tonne von 30 auf 40 Euro und in der Gastronomie sowie bei Gas und Fernwärme soll die 19-prozentige Mehrwertsteuer zurückkehren. Zusammengenommen würde das dem Staat Mehreinnahmen von 7,2 Milliarden Euro im nächsten Jahr bescheren. Die Entlastung der Unternehmen aus dem Wachstumschancengesetz fällt mit sieben Milliarden sogar noch etwas geringer aus. 

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm moniert, das Gesetz entfalte nicht genügend Wirkung, um die Wachstumsschwäche Deutschlands zu adressieren. Der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum hält deshalb eine Verdoppelung bis Verdreifachung der Entlastungen für nötig. Zudem wird befürchtet, dass das bereitstehende Finanzierungsvolumen für die Investitionsprämie von 390 Millionen Euro nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken.

DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben hält diese Summe ebenfalls für unzureichend. ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski kritisiert, dass eine Entlastung von sieben Milliarden Euro im Jahr kaum ausreichen dürfte, um eine 4000-Milliarden-Euro-Volkswirtschaft strukturell umzubauen. Und Länder und Kommunen befürchten, dass die Maßnahmen aus dem Bundesgesetz große Löcher in ihre Haushalte reißen, obwohl sie selbst in Klimaschutz und Energiewende investieren wollen und die regionalen Unternehmen diese Aufträge brauchen. Einige Länder haben deshalb schon ihren Widerstand im Bundesrat angekündigt. 

Richtige Richtung, reicht aber nicht

Kein Wunder also, dass auch der Mittelstandsverband BVMW in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf das begrenzte Volumen und die zeitlichen Einschränkungen der Investitionsprämie kritisiert. Der Verband fordert insbesondere, dass die Berücksichtigung der KMU mit kleineren Investitionssummen deutlich verbessert wird. Daneben sollt auch der Bürokratieaufwand weiter gesenkt und die Abschreibungsmöglichkeiten noch weiter verbessert werden, um die Investitionstätigkeit anzukurbeln.

Der Verband „Die Familienunternehmer“ argumentiert ähnlich und fordert deutlich bessere Verlustverrechnungs- und Abschreibungsmöglichkeiten – vor allem für KMU. Denn sonst könnte die Wirkung des an sich richtigen Wachstumschancengesetzes schlicht nicht ausreichen, um derzeitige Standort- und Wettbewerbsnachteile in Deutschland wettzumachen. Dann müssen wir befürchten, dass weitere Unternehmen das Land verlassen.

Über den Kapitalmarktblog:

Hier schreiben die Kapitalmarktexperten der Quirin Privatbank über die deutsche Wirtschaft und alles, was den heimischen Mittelstand bewegt. Das erfahrene Team der Quirin Privatbank hat die Entwicklungen rund um die Mittelstandsfinanzierung immer im Blick und zeigt auf, welche alternativen Finanzierungsformen für KMU interessant sind.

You may also like

Hinterlassen Sie einen Kommentar